Kaperfahrt
Chinatown in New York zu unterscheiden war.
Und ebenso wie in New York gab es hier sowohl gesetzestreue als auch gesetzesfeindliche Gesellschaftsschichten. Schon nach wenigen Minuten seines Rundgangs fand er bekannte Bandensymbole, die mit Farbspray auf einigen Ladenfassaden verewigt worden waren. Und ein paar Minuten später fand er dann auch das Zeichen, das er gesucht hatte. Es war ziemlich klein, nur ein paar Zentimeter groß, und prangte in roter Farbe auf einer ansonsten völlig unauffälligen grauen Metalltür. Diese Tür erlaubte den Zugang zu einem festungsähnlichen Lagerhaus, dessen erster Stock eine lange Fensterreihe aufwies.
Eddie klopfte einen Rhythmus, den er von zu Hause kannte. Niemand reagierte darauf, daher klopfte er abermals, diesmal aber genau so, wie ein gewöhnlicher Besucher es tun würde. Aus dem gedämpften Echo, das seine Knöchel auslösten, entnahm er, dass die Tür aus solidem Stahl bestand.
Sie öffnete sich nach ein paar Sekunden mit einem leisen Knarren, und ein Junge von etwa zehn Jahren schob den Kopf durch den Türspalt. Sicherlich warteten unsichtbar im Hintergrund drei oder vier bewaffnete Männer. Der Junge sagte kein Wort.
Auch Eddie schwieg.
Er zog das Hemd aus der Hose, drehte sich um und entblößte seinen Rücken bis hinauf zu den Schulterblättern.
Der Junge atmete zischend ein, und Eddie spürte plötzlich weitere Blicke auf sich. Er ließ das Hemd langsam sinken und schaute wieder auf die Tür. Er betrachtete es als gutes Zeichen, dass die beiden Bandenmitglieder, die ihn jetzt musterten, ihre Pistolen gesenkt hatten.
»Wer bist du?«, fragte einer.
»Ein Freund«, entgegnete Eddie.
»Wer hat dir die Tätowierung verpasst?«, fragte der andere.
Eddie musterte ihn mit einem Ausdruck der Verachtung, während er erwiderte: »Niemand hat sie mir verpasst. Ich habe sie mir verdient.«
Auf seinem Rücken befand sich eine kunstvolle – wenn auch mittlerweile verblasste – Tätowierung von einem Drachen, der gegen einen Greif kämpfte. Es war ein altes Bandensymbol der Green Dragon Tong aus den 1930ern, als sie mit einer rivalisierenden Bande um die Kontrolle des Hafens von Schanghai gekämpft hatten. Nur führende Mitglieder der Tong oder besonders tapfere Fußsoldaten durften es auf ihrer Haut tragen. Angesichts des weltweiten Einflusses der chinesischen Unterwelt hatte Eddie genau gewusst, dass ihm dieses Zeichen hier den freien Zugang ermöglichen würde.
Er hoffte nur, dass sie es nicht allzu genau überprüften, denn Kevin Nixon hatte die Zeichnung nur wenige Stunden vorher an Bord der Oregon aus einem Katalog von Banden- und Gefängnistätowierungen kopiert.
»Was führt dich her?«, fragte der erste Gangster.
»Hier im Hafen arbeitet jemand, der den Leuten, die ich vertrete, eine große Geldsumme schuldet. Ich will ein paar von euch auf ihn ansetzen, damit ihr ihn im Auge behaltet, bis es Zeit ist zu kassieren.«
»Hast du Geld?«
Eddie hielt es nicht für nötig, darauf zu antworten. Niemand, der bei klarem Verstand war, würde eine solche Forderung stellen, ohne dafür bezahlen zu können. »Für vier oder fünf Tage. Acht oder zehn Leute. Zehntausend Dollar.«
»Zu schwierig, sie umzutauschen. Mach Euros daraus. Zehntausend.«
Beim augenblicklichen Kurs waren das fast fünfzig Prozent mehr. Eddie nickte trotzdem.
Und so hatte er plötzlich genug Männer, um Tariq Assad rund um die Uhr überwachen zu lassen, während er und Hali in einer billigen Absteige ausharrten, die von der Tong unterhalten wurde. Die Bande meldete mittels nicht registrierter Mobiltelefone alle sechs Stunden die neuesten Aktivitäten Assads, so dass sie sich nach ein paar Tagen ein ziemlich genaues Bild von Assads Gewohnheiten machen konnten.
Gewöhnlich arbeitete Assad acht Stunden während der Nachtschicht im Hafen, wobei er sich schon mal zwei Stunden freinahm, wenn keine Schiffe erwartet wurden. In diesen Nächten suchte er ein Apartment nicht weit vom Hafen auf, wo er eine Geliebte untergebracht hatte. Sie war zwar nicht gerade die schönste von denen, die er besuchte, doch war sie am bequemsten zu erreichen.
Nach der Arbeit kehrte er zu seiner Familie zurück, schlief rund sechs Stunden und traf sich danach mit seinen Kollegen zu einer Tasse Kaffee, ehe er andere Apartments in Tripolis besuchte. Eddie bat seine Agenten, eine Namensliste der Frauen zusammenzustellen, und als Eric Stone die Namen mit Hilfe des Computers auf der Oregon überprüfte, stellte sich heraus,
Weitere Kostenlose Bücher