Kaperfahrt
Abdullah, der Kommandant des Terroristenlagers, das sie respektlos Ost-Guantánamo nannten, noch nicht, ob er sich fürchten oder erleichtert sein sollte.
»Reden Sie«, antwortete eine Stimme, die mit nur einem Wort so viel Bösartigkeit vermittelte, wie sich aus einem dunklen Schacht voll sündiger Seelen nur hervorholen ließ.
Abdullah brauchte seinen Namen nicht zu nennen. Lediglich eine Handvoll Personen kannte die Nummer dieses Satellitentelefons. Er hasste es, sich daran zu erinnern, dass die Kommunikationstechnik von den verfluchten Israelis stammte, aber deren Telefone waren hundertprozentig abhörsicher. »Ich will mit ihm reden.«
»Er ist beschäftigt. Reden Sie mit mir.«
»Es ist dringend«, beharrte Abdullah, schwor sich jedoch, nicht weiter darauf zu bestehen, falls er eine Abfuhr erhielt. Im Hintergrund konnte er das Nebelhorn eines Schiffes und das fröhliche Klingeln einer Signalglocke hören. Bis auf diese Geräusche blieb es am anderen Ende still. Er löste seinen Schwur ein. »Na schön. Teilen Sie dem Imam mit, dass die Gefangenen zu fliehen versuchen.«
Abdullah kannte selbst nicht alle Einzelheiten, daher drückte er sich so unbestimmt wie möglich aus. »Es scheint, als hätten sie die Wachen überwältigt und einen der kleinen Lastwagen, die für den Einsatz auf den alten Bahngleisen vorgesehen sind, und außerdem einen Güterwagen gestohlen.« Wieder sagte der Mann am anderen Ende der Verbindung nichts. Abdullah fuhr fort: »Versuche, sie am Bergwerk aufzuhalten, sind fehlgeschlagen, und ein Trupp Rekruten aus dem Camp hat sie auch nicht stoppen können. Daraufhin habe ich einige unserer Elitesoldaten mit dem Hubschrauber in Marsch gesetzt. Sie werden die Holzbrücke sprengen. Auf diese Art und Weise können wir sicher sein, sie alle zu erwischen.«
Der Terroristenkommandant schluckte krampfhaft. »Ich, äh, ich dachte, dass auf Grund der Informationen, die wir von den amerikanischen Archäologen erhalten haben, unsere Anwesenheit hier nicht länger nötig ist. Wir wissen jetzt, dass unsere Annahme, dass sich die versteckte Basis des ursprünglichen Suleiman Al-Jama in diesem Tal, südlich des Schwarzen, das brennt, wie es in der Legende heißt, befindet, falsch ist. Al-Jama und die Saqr haben sich in einem anderen Flussbett befunden, in Tunesien. Die Männer, die wir dorthin geschickt haben, müssten sie in Kürze finden.«
Auch jetzt konnte er nur das Klingeln und ein gelegentliches Nebelhornsignal hören.
»Wo sind Sie gerade?«, fragte Abdullah, ohne zu überlegen.
»Das geht Sie nichts an. Fahren Sie fort.«
»Nun, da wir den Vorwand, das alte Kohlebergwerk, das brennende Schwarze, das wir fälschlicherweise für das Zeichen aus der Legende gehalten hatten, wieder in Betrieb zu nehmen, nicht mehr brauchen, hielt ich das Sprengen der Brücke für die beste Vorgehensweise. Zwei für den Preis von einem. Wir töten die Flüchtlinge und zerstören alle Spuren unserer Operation hier.«
»Wie viele von unseren Elitekämpfern sind noch dort?«
»Etwa fünfzig«, antwortete Abdullah sofort.
»Setzen Sie nicht das Leben dieser Kämpfer für etwas so Minderwertiges wie Gefangene aufs Spiel. Schicken Sie mehr von den weniger gut ausgebildeten Männern, wenn es sein muss. Sagen Sie ihnen, dass wenn sie bei dieser Mission den Märtyrertod finden, sie sich im Paradies Allahs einer ganz besonderen Gunst erfreuen dürfen. So hat der Imam es bestimmt.«
Abdullah hielt es für besser, nicht zu erklären, dass die Zeit nicht mehr ausreiche, um die Elitetruppen von der Brücke abzuziehen. Stattdessen fragte er: »Was ist mit der Ministerin?«
»In dreißig Minuten sollten dort Hubschrauber eintreffen. Einer von ihnen hat den Befehl, sie zu übernehmen. Ihre Hauptaufgabe ist der Tod der Gefangenen und dafür zu sorgen, dass unsere Leute in Tripolis für jede Aufgabe bereitstehen. Bei dem Treffen wird reguläres Wachpersonal eingesetzt, das sie überwältigen müssen, um sich Zugang zur Versammlungshalle zu verschaffen. Darin befinden sich die Regierungsmitglieder, auf die wir es abgesehen haben, aber natürlich sind diese nicht bewaffnet. Es wird ein grandioses Blutbad geben, das das Ende dieser lächerlichen Bemühungen um Frieden einläutet.«
Das war die längste Ansprache, die Abdullah von dem Mann am anderen Ende jemals gehört hatte. Er glaubte an ihre Sache ebenso wie jeder andere von ihnen, sicherlich sogar genauso wie Imam Al-Jama selbst. Aber auch er musste zugeben, dass es
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