Kaperfahrt
bringen«, witzelte Juan.
»Warten wir mal ab, was für eine Figur du in zwanzig Jahren hast.«
Kurz nach Tagesanbruch erreichte das Schiff die Küste. Hier erstreckten sich dichte Mangrovenwälder über den gesamten Horizont. Hakeem übernahm nun selbst das Ruder, da er die geheimen Tiefwasserkanäle, die ihnen den Zugang zu ihrer versteckten Basis erlaubten, am besten kannte. Zwar war dies das größte Schiff, das sie je gekapert hatten, er vertraute aber trotzdem darauf, dass sie ihr Lager erreichen würden, ohne auf Grund zu laufen. Zumindest kämen sie nahe genug heran, so dass ihnen ein Entladen der Fracht keine große Mühe bereiten würde.
Die Luft war dunstig und feucht. Kaum ließ sich die Sonne am Horizont blicken, da schien die Temperatur schon in die Höhe zu schießen.
Während der große Frachter tiefer in den Sumpf vordrang, färbte sich das Kielwasser zunehmend braun – das kam von dem Schlick, den die Schrauben aufwühlten. Hakeem konnte den Tiefenmesser, der in der Nähe des Ruders an einer Wand befestigt war, zwar nicht lesen, aber nur acht Fuß Wasser trennten den Boden des Schiffsrumpfs vom Meeresgrund. Die Bäume rückten immer dichter zusammen und umschlossen das Schiff, bis die Äste fast ein Dach bildeten.
Der Kanal war kaum breit genug zum Manövrieren. Hakeem konnte sich nicht erinnern, dass er so schmal war, jedoch hatte er bisher auch nie aus dem Ruderhaus eines so großen Schiffes auf ihn herabgeschaut. Der Bug streifte einen versunkenen Baumstamm, der sicherlich den Rumpf seines Fischerboots durchbohrt hätte, in diesem Moment aber ohne irgendeinen Schaden anzurichten am Kiel des Frachters entlangschrammte. Sie mussten noch eine Biegung überwinden, ehe sie ihr Lager erreichten – aber diese war die engste. Das gegenüberliegende Ufer schien zum Greifen nahe.
»Meinst du, du schaffst es?«, fragte Aziz.
Hakeem würdigte ihn keines Blickes. Immer noch war er über den Vorfall am Vortag wütend. »Wir sind weniger als einen Kilometer vom Lager entfernt. Selbst wenn ich es nicht schaffen sollte, können wir das Schiff ausräumen und die Beute zum Lager bringen.«
Er packte das Ruder fester und spreizte die Füße, um einen sicheren Stand zu haben. Der Bug schob sich in die Uferkrümmung, und er wartete bis zur letzten Sekunde, ehe er das Ruder herumriss. Das Schiff reagierte nicht so schnell, wie er gehofft hatte, und trieb weiter geradeaus auf das Ufer zu.
Dann folgte es endlich der Biegung und begann herumzuschwingen, aber nun war es zu spät. Sie würden auf Grund laufen. Hakeem orderte über den Maschinentelegrafen Volle Fahrt zurück – in der Hoffnung, die Kollision mit der Uferböschung zu mildern.
Mehrere Decks unter ihm saß Cabrillo in seinem vertrauten Sessel im Operationszentrum. Eric Stone war der beste Steuermann der Oregon, auch wenn er zurzeit in der Kantine eingeschlossen war und die Rolle Duane Maryweathers spielte. Außerdem hätte ihm Cabrillo zu diesem Zeitpunkt sowieso nicht das Kommando überlassen. In derart schwierigen Gewässern vertraute er einzig und allein seinen eigenen Fähigkeiten, das Schiff zu lenken.
Obgleich Hakeem volle Fahrt zurück verlangt hatte, ignorierte Cabrillo den Befehl und aktivierte stattdessen das Bugstrahlruder. Außerdem veränderte er die Stellung der Steuerdüsen, die das Schiff so weit antrieben, wie es vordringen konnte.
Auf der Kommandobrücke musste es so aussehen, als sei wie durch einen Zauber ein starker Wind aufgekommen, obwohl sich kein einziger Ast eines Baumes rührte. Der Bug schwang herum, als würde er von einer unsichtbaren Hand angeschoben werden. Hakeem und Aziz wechselten einen verblüfften Blick. Sie mochten nicht glauben, dass der Frachter so schnell die Fahrtrichtung ändern konnte, und hatten auch noch nicht bemerkt, dass sich das Schiff nach der Biegung wieder genau in der Fahrrinne ausgerichtet hatte. Trotzdem drehte Hakeem am Ruder und war weiterhin überzeugt, das Schiff unter Kontrolle zu haben.
»Allah hat dieser Mission sicherlich von Anfang an seinen Segen gegeben«, sagte Aziz, obwohl keiner der beiden Männer ausgesprochen religiös war.
»Oder vielleicht weiß ich auch genau, was ich tue«, erwiderte Hakeem scharf.
Das Piratenlager befand sich am rechten Ufer des Kanals, das bis zur Höhe des Frachterdecks anstieg. Dadurch war dieser Bereich vor Hochwassern und Springfluten weitgehend sicher. Ein etwa dreißig Meter langer Pier aus Holz erstreckte sich am Wasser und war von der
Weitere Kostenlose Bücher