Kaperfahrt
Uferböschung über mehrere im harten Lehmboden verankerte Stahltreppen erreichbar. Diese Treppen stammten von einem der ersten Schiffe, die sie gekapert hatten. Hakeems Fischkutter war zusammen mit zwei anderen kleinen Fischerbooten am Pier vertäut.
Weiter landeinwärts befand sich das Lager, das aus planlos in die Landschaft gesetzten Behausungen unterschiedlichster Art bestand. Da gab es Zelte, wie sie in Flüchtlinslagern karitativer Organisationen Verwendung fanden, und traditionelle Lehmhütten sowie Bauten aus Holzbalken und Wellblechplatten. Mehr als achthundert Menschen hausten hier, davon an die dreihundert im Kindesalter. Die Grenzen des Lagers wurden durch vier Wachtürme markiert, die man aus Rohren und verwitterten Holzbrettern zusammengezimmert hatte. Müll- und Abfallhaufen verteilten sich über das gesamte Gelände, und halb verwilderte Hunde streiften in kleinen Rudeln zwischen den Bauten umher.
In Scharen säumten Menschen das Flussufer und drängten sich auf dem Pier, der jeden Moment zusammenzubrechen drohte, während sie laute Freudenrufe ausstießen. Da waren halbnackte Kinder, Frauen in staubigen Kleidern mit Kleinkindern in Tragetüchern auf dem Rücken und Hunderte von Männern, die siegestrunken mit ihren Maschinenpistolen herumfuchtelten. Viele schossen in die Luft und erzeugten einen Lärm, der offenbar an diesem Ort so alltäglich war, dass die Säuglinge nicht aus ihrem Schlaf geweckt wurden. Etwa in der Mitte des Piers, umringt von seinen vertrauenswürdigsten Helfern, stand Mohammad Didi.
Trotz seines furchterregenden Rufes war Didi keine besonders eindrucksvolle Erscheinung. Er maß knapp eins fünfundsechzig, und seine Fantasieuniform hing an dem mageren Körper wie die Lumpen an einer Vogelscheuche. Die untere Hälfte seines Gesichts wurde von einem gräulich fleckigen Bart verhüllt. Seine Augen glänzten feucht und waren rot gerändert, und seine weißen Augäpfel waren netzartig mit roten Äderchen durchzogen. Didi war so schlank, dass ihn die schwere Pistole an seiner Hüfte eine Haltung einnehmen ließ, als litte er unter Skoliose.
Auf seinem Gesicht lag weder ein Lächeln noch ein anderer erkennbarer Ausdruck. Das war ein weiteres seiner Markenzeichen. Er zeigte nie irgendwelche Emotionen – ganz gleich ob er einen Menschen tötete oder eines seiner zahlreichen Kinder nach der Geburt zum ersten Mal im Arm hielt –, niemals.
Um den Hals trug er eine Kette mit weißen unregelmäßig geformten Perlen, die sich beim näheren Hinsehen als menschliche Zähne mit Goldfüllungen entpuppten.
Hakeem brauchte fünfzehn frustrierende Minuten, um den schweren Frachter an den Pier zu manövrieren, wobei er zwischendurch einmal so viel Fahrt bekommen hatte, dass die Menschen, die sich auf ihm drängten, zum Flussufer zurück flüchteten. Es hätte noch länger gedauert, doch Cabrillo hatte schließlich genug von den kläglichen Bemühungen des Somalis und führte das Anlegemanöver selbst durch. Piraten an der Reling warfen Taue zu der Menge hinunter, und dann wurde das Schiff am Pier festgemacht.
Der dichte Qualm, der aus dem Schornstein aufgestiegen war, versiegte bis auf einen dünnen Rauchfaden. Hakeem ließ das Nebelhorn aufheulen, und die Menge brach erneut in Jubelgeschrei aus. Er schickte Aziz los, beim Herablassen der Gangway zu helfen, damit sich Mohammad Didi mit eigenen Augen ansehen konnte, was sie erbeutet hatten.
In der Operationszentrale deutete Giuseppe Farina auf den Monitor. »Das dort in der Mitte ist unser Mann.«
»Der mit dem Bartflaum im Gesicht?«, fragte Max Hanley.
»Si. Er bietet zwar keinen besonders imponierenden Anblick, aber er ist ein eiskalter Killer.« Farina trug einen Kampfanzug des italienischen Heeres in Tarnfarben und dazu schwarze Stiefel, die so blank gewienert waren, dass sie Lackleder zu sein schienen. Er war das, was man durchaus als gut aussehend bezeichnen konnte, mit dunklen Augen und schwarzem Haar, olivfarbenem Teint und markanten Gesichtszügen. Die Lachfalten in seinen Mundwinkeln und auf seiner Stirn verdankte er seinem ausgeprägten Sinn für Humor und der stetigen Bereitschaft zu irgendwelchem Unfug. Als Juan und er noch bei der CIA und in Rom für einen russischen Kontaktmann zuständig gewesen waren, hatten sie so manchen wilden Umzug durch das Nachtleben der Stadt unternommen.
»Nur um unsere Befehle der Klarheit halber noch einmal zu wiederholen: Wir müssen mit dem Zugriff warten, bis sich Didi an Bord der Oregon
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