Kapitän Singleton
Meilen 140
nördlich von Kongo lag, dazu kämen noch etwa dreihundert Meilen, wo die Küste einen Bogen nach Westen machte, denn sie lag auf dem sechsten oder siebenten Breitengrad; dort hätten die Engländer, die Holländer oder die Franzosen Niederlassungen oder Faktoreien – vielleicht sogar alle drei.
Ich gestehe, daß ich, während er seine Gründe erklärte, eher Lust hatte, nach Norden zu ziehen und uns auf dem Rio Grande einzuschiffen, oder, wie ihn die Händler nennen, den Negro oder Niger, denn ich wußte, daß uns das zum Kap Verde hinüberbrächte, wo wir ganz gewiß Hilfe fänden, während wir an der Küste, wohin wir uns jetzt wandten, noch sehr weit entweder zur See oder über Land reisen mußten und keine Gewißheit hatten, daß wir uns Lebensmittel beschaffen konnten, außer durch Gewalt. Vorläufig hielt ich jedoch den Mund, weil es ja die Meinung meines Lehrers war.
Als wir aber seinem Wunsch gemäß schließlich nach Süden abbogen, nachdem wir an dem zweiten großen See vorbeige-zogen waren, begannen alle unsere Leute unsicher zu werden, und sie sagten, jetzt seien wir ganz gewiß vom Wege abgekommen, denn wir entfernten uns immer mehr von unserer Heimat, von der wir doch wahrhaftig schon weit genug entfernt seien.
Kaum waren wir aber zwölf Tage lang gewandert, von denen wir acht dazu gebraucht hatten, den See zu umgehen, und vier weitere, um in südwestlicher Richtung zum Kongo zu gela ngen, als wir uns von neuem veranlaßt sahen haltzumachen, da wir in eine so öde, so schreckliche und kahle Gegend gelangten, daß wir nicht wußten, was wir davon halten und was wir tun sollten, denn sie bot den Anblick einer furchterregenden, endlosen Wüste ohne Wald, Bäume, Flüsse oder Bewohner; sogar der Ort, an dem wir uns befanden, war menschenleer, und wir hatten keine Möglichkeit, für den Marsch durch die Wüste Vorräte anzulegen, wie wir es getan hatten, bevor wir durch die erste gezogen waren, es sei denn, wir kehrten vier 141
Tagesmärsche weit zurück zu der Stelle, wo wir um die Spitze des Sees gebogen waren.
Trotz alledem aber wagten wir uns hindurch, denn Leuten, die derart wilde Gebiete durchquert hatten wie wir, vermochte nichts so verzweifelt erscheinen, als daß wir es nicht unternommen hätten. Wir wagten es also, und das um so mehr, als wir in weiter Ferne sehr hohe Berge sahen, die auf unserem Weg lagen, und wir sagten uns, wo es Berge gebe, dort würden auch Quellen und Flüsse vorhanden sein, und wo Flüsse vorhanden seien, dort wüchsen auch Bäume und Gras, und wo Bäume und Gras wüchsen, dort sei auch Vieh zu finden, und wo Vieh zu finden sei, dort gebe es auch irgendwelche Einwohner. Schließlich betraten wir dieser philosophischen Spekulationen zufolge die Einöde, ausgerüstet mit einer großen Menge Wurzeln und Gemüse, die uns die Eingeborenen statt Brot gegeben hatten, sowie mit einem ganz geringen Vorrat an Fleisch und Salz und mit nur wenig Wasser.
Zwei Tage lang zogen wir auf diese Berge zu, und noch immer schienen sie so weit von uns entfernt zu sein wie zu Beginn, und erst am fünften Tag erreichten wir sie; freilich zogen wir nur langsam weiter, denn es war entsetzlich heiß, und wir bewegten uns fast genau auf der Äquinoktiallinie voran und wußten kaum, ob südlich oder nördlich von ihr.
Unsere Schlußfolgerung, wo Berge seien, müsse es auch Quellen geben, erwies sich als richtig; wir waren jedoch nicht nur überrascht, sondern wahrhaft erschrocken, als wir feststellten, daß die erste Quelle, auf die wir trafen und die wunderbar klar und schön aussah, so salzhaltig war wie Sole. Das war eine arge Enttäuschung für uns und ließ uns zuerst Schlimmes befürchten, aber der Geschützmeister, der nicht zu entmutigen war, erklärte uns, wir sollten uns davon nicht beunruhigen lassen, sondern vielmehr froh sein, denn Salz sei eine Wegze hrung, die wir so dringend brauchten wie nur irgend etwas, und zweifellos würden wir nicht nur Salz-, sondern auch Trinkwas-142
ser finden. Hier mischte sich unser Schiffsarzt ein und erklärte uns zu unserer Ermutigung, er werde uns eine Methode zeigen, falls wir sie noch nicht kannten, um dieses Wasser zu entsal-zen, und das gab uns tatsächlich neuen Mut, obwohl wir uns fragten, was er wohl meinte.
Inzwischen hatten unsere Leute, ohne eine Aufforderung abzuwarten, nach weiteren Quellen gesucht und einige gefunden, aber alle waren salzhaltig, woraus wir schlossen, daß es dort einen Salzfelsen oder Mineralstein im
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