Kapital: Roman (German Edition)
Er hat schon angekündigt, dass die Polizei vorbeikommen könnte. Er ist in seinem Büro. Seinem anderen Büro. Das ist ein Pub namens The Bell. Am Hoxton Square, okay?«
Die beiden Polizeibeamten gingen wieder nach unten und verließen das Gebäude. Der Pub war ungefähr fünf Gehminuten entfernt. Sie mussten durch eine Gegend, die früher einmal ein Elendsviertel gewesen war. Zum Teil war das auch heute noch so, aber inzwischen zogen auch immer mehr Besserverdienende hierher. Mill drückte die schweren Türen zur Bar auf. Der Raum war fast leer, abgesehen von drei oder vier Leuten am Tresen und einem Mann, der an einem Tisch dem Eingang gegenüber saß. Dem Foto in der Zeitung nach zu urteilen musste das Smitty sein. Er saß links von der Dartscheibe, unter einem riesigen alten Watney-Spiegel. Vor ihm auf dem Tisch befanden sich ein Handy, ein großes Glas Bier und eine Packung Chips. Die beiden Beamten gingen zu ihm hinüber und stellten sich vor ihn hin. Smitty schaute hoch.
»Hallo. Ihr macht ganz den Eindruck, als wärt ihr von der Polizei«, sagte er.
Mill zeigte ihm seine Dienstmarke. Smitty wies auf die Stühle ihm gegenüber.
»Schauen Sie manchmal die Simpsons? Bart. Ich liebe Bart. Der hat so’n Lieblingssatz, kennen Sie den? ›Ich war’s nicht. Keiner hat mich dabei gesehen! Das können Sie nicht beweisen!‹«
»Wir sind nicht wegen des Artikels im Standard hier. Es ist mir vollkommen egal, was Sie so alles gemacht haben, während Sie mit Ihren, äh, Projekten beschäftigt waren«, sagte Mill. »Im Rahmen Ihrer legitimen Kunst. Ich habe sogar Ihr Buch zu Hause.« Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, denn die Ausgabe von Smitty – dem verschwenderisch illustrierten Buch, das Smitty über sich selbst geschrieben hatte – gehörte eigentlich Janie. Aber er dachte, der Künstler würde sich vielleicht darüber freuen. Und tatsächlich sah Smitty eine winzige Spur erfreut aus. »Wir sind nicht hergekommen, um Sie zu verhören. Wir wollten Sie nur etwas fragen. Noch ein Bier?« Er wies auf Smittys Glas. Smitty dachte einen Moment lang nach.
»Ein India Pale Ale«, sagte er.
»Ein Glas IPA, eine Flasche Kaliber, und was auch immer Sie trinken wollen«, sagte Mill zu seinem Kollegen, der daraufhin zur Bar ging. Smitty streckte die Arme in die Höhe, dehnte sich und schaute sich in der Bar um.
»Ich liebe diesen Laden. Und wissen Sie auch, warum? Ich nenne es ZH. Zünftig Heruntergekommen. Es ist nicht so wie der Rest von London, man hat es nie modernisiert und aufgebrezelt. Wann ist Watneys Pleite gegangen? Vor zwanzig Jahren, oder so? Und der Spiegel hängt immer noch hier. Plastiktische, Bierdeckel. In allen anderen Läden hier in der Gegend kriegt man nur Caipirinhas und Perrier-Jouët. Sehen Sie die Stammgäste da an der Bar? Haben Sie gesehen, dass sich einer von ihnen bewegt oder etwas gesagt hätte? Genau. Das machen sie nie. Wollen Sie etwas essen? Sie können Chips kriegen oder gebratenen Speck, oder falls Sie sorichtig ranklotzen wollen, auch eingelegte Eier. Das gehört auch zu dem Zünftig-Heruntergekommen-Konzept. Noch ein paar Jahre, und es gibt keinen einzigen solchen Laden mehr in London. Dann kriegen Sie überall nur noch Litschi-Martinis, entkoffeinierte Vanilla Lattes und kostenloses WLAN.«
Der Beamte kam von der Bar zurück und stellte die Getränke auf den Tisch. Mill nahm einen Schluck von seinem alkoholfreien Bier.
»Es geht also um die Pepys Road«, sagte Smitty. »Wo meine Oma gewohnt hat.«
»Genau. Und wo es eine langanhaltende Kampagne von Belästigungen, Postkarten, Graffiti, Videos, einem Blog und mittlerweile auch Sachbeschädigung, Vandalismus und Tierquälerei gegeben hat.«
So wie er es bei Shahid Kamal getan hatte, beobachtete Mill nun auch Smitty sehr genau, während er das sagte. Die Reaktion des Künstlers schien weder Schuld noch Sorge widerzuspiegeln. Mill öffnete seinen Aktenkoffer und nahm eine Mappe mit Kopien der markantesten Ermittlungsinhalte heraus, hauptsächlich Postkarten und Standbilder von der DVD, aber auch Fotos von den Graffiti, den Beleidigungen auf der Webseite, den toten Vögeln und den zerkratzten Autos. Smitty schaute sich die Bilder an.
»Ich erinnere mich, wie es mit diesem Zeug angefangen hat. Es muss vor ungefähr einem Jahr gewesen sein. Bevor meine Oma krank wurde. Ich bin zu Besuch bei ihr gewesen, und sie hatte gerade ein paar Postkarten mit Fotos von ihrem Haus bekommen. Und auch eine DVD, die sie sich nicht
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