Kapital: Roman (German Edition)
lassen, dass sie nie wieder etwas Derartiges tun würde und die Sache dann auf sich beruhen lassen. Die zweite Person – oder Personengruppe – hatte ohne Zweifel gegen mehrere Gesetze verstoßen, wahrscheinlich kam genug zusammen, um eine Freiheitsstrafe gegen sie zu verhängen. Der Blog war jedoch unter zahlreichen Schichten anonymer Identitäten versteckt, und es gab nirgendwo Fingerabdrücke. Jetzt, da die Polizei nach der Sachbeschädigung an den Autos die Straße mit erhöhter Aufmerksamkeit im Auge behielt, hatte es keine weiteren Aktivitäten gegeben. Auch der Blog war wieder verschwunden. Mill wusste zwar ein wenig besser, nach welcher Art von Person er suchte, hatte jedoch immer noch keinen Verdächtigen.
Aber er machte sich keine Sorgen. Es würde irgendetwas passieren, da war er sich sicher. Die meisten Kriminalfälle wurden durch harte Routinearbeit gelöst oder durch Glück – und in letztere Kategorie fielen die dummen Fehler, die den Straftätern manchmal unterliefen. Die Erfahrung lehrte Mill, dass ihm im Augenblick nichts anderes übrigblieb, als auf einen solchen Glücksfall zu warten. Und bis dieser sich einstellte, legte er die ganze Geschichte auf Eis und machte mit anderen Fällen weiter. Er hatte es im Gefühl, dass er nicht lange zu warten brauchte, und er sollte recht behalten. Der Durchbruch kam aus heiterem Himmel, zwei Monate nachdem Shahid Kamal aus dem Gefängnis entlassen worden war. Der ihm assistierende Beamte kam an seinen Schreibtisch, mit einem breiten Grinsen, das seine ausgeprägten Lachfalten um die Augen voll zur Geltung brachte, und reichte ihm ohne jeden Kommentar eine Ausgabe des Evening Standard , aufgeschlagen auf Seite drei. Die Schlagzeile dort lautete:
ENTLARVT: DER KÜNSTLER SMITTY
Seine Kunst ist kontrovers, seine Stunts sind berüchtigt. Seine provokativen Graffiti haben es aus den U-Bahn-Stationen bis in die angesehensten Kunstgalerien geschafft. Die Sammlerstücke, die von seiner Hand stammen, werden für Millionen von Pfund verkauft. Aber keiner weiß, wer er ist. Er nennt sich Smitty, doch seine wahre Identität gehört zu den bestgehüteten Geheimnissen der Kunstwelt. Bis heute. Die Recherchen des Evening Standard haben enthüllt, dass Smittys wahrer Name Graham Leatherby ist. Er ist 28 Jahre alt, hat an der Goldsmiths-Universität studiert, lebt in Shoreditch und ist der Sohn von Alan und Mary Leatherby, deren Haus in Maldon, Essex, 750000 £ wert ist.
Daneben war ein riesiges Foto von Smitty abgedruckt, der auf dem Bild Jeans und ein Sweatshirt mit zurückgeschlagener Kapuze trug.
»Grundgütiger Gott!«, sagte Mill.
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte der Beamte.
»Den Leatherbys gehörte doch das Haus Nummer 42. Die Mutter ist gestorben, und sie haben es geerbt. Da muss es einen Zusammenhang geben«, sagte Mill. »Das kann kein Zufall sein. Ich kenne die Arbeiten von diesem Typen. Janie hat ein Buch von ihm, und ihr zuliebe habe ich mir auch eine Dokumentation über ihn angeschaut. Er macht andauernd solche Sachen, Kunst, Installationen, Projekte, die als Scherz oder Verarschung gemeint sind. Unser Problem ist genau nach seinem Geschmack, wenn Sie verstehen, was ich meine. Wir müssen uns unbedingt mit ihm unterhalten. Das ist alles andere als ein Zufall.«
Das rote Licht an Mills Telefon blinkte: ein Zeichen, dass die Zentrale einen Anruf zu ihm durchschalten wollte. Er nahm den Hörer auf.
»Hier ist die Zentrale. Wir haben jemanden in der Leitung, dermit Ihnen sprechen möchte. Er sagt, er habe sachdienliche Informationen zu einem Ermittlungsfall. Er wollte seinen vollen Namen nicht nennen, meinte aber, ich soll Ihnen sagen, dass er der Künstler ist, der bisher unter dem Namen Smitty bekannt war.«
Mill und der Beamte starrten sich an.
104
In Smittys Lagerhallenatelier wurde auf ihr Klingeln nicht geantwortet, also drückte Mill auf den Knopf einer anderen Sprechanlage, identifizierte sich als Polizeibeamter und wurde zusammen mit seinem Kollegen ins Gebäude gelassen. Sie kletterten die laut scheppernde Metalltreppe zu Smittys Etage hoch und betraten einen riesigen Raum mit hohen Decken, einer Tafel, die eine gesamte Wand einnahm, einem gigantischen Holzschreibtisch und einem jungen Mann, der etwas in einen PC tippte.
»Er ist nicht hier und er redet auch nicht mit der Presse«, sagte der junge Mann, ohne seine Aufmerksamkeit von dem vor ihm stehenden Bildschirm abzuwenden.
Mill hielt ihm seine Dienstmarke entgegen.
»Oh. Ach so.
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