Kapital: Roman (German Edition)
lächelte ihren Mann an, klimperte mit den Augenlidern und ließ ihre Grübchen spielen. Ahmed gab ein verächtliches Schnauben von sich.
Shahid hatte den Kopf in den Händen vergraben, wie er plötzlich feststellen musste. Seine Mutter würde ihn mit Sicherheit zum Heiraten drängen, genauer gesagt zu einer arrangierten Ehe, und sie hatte wahrscheinlich schon eine Kandidatin im Auge. Und falls nicht, dann hatte sie zumindest einen Plan. Sie würde ihm so lange zusetzen, bis er sich dazu bereit erklärte, nach Lahore zu kommen, um geeignete Kandidatinnen unter die Lupe zu nehmen. Er hatte das schon einmal gemacht, vor zwei Jahren, und es war absolut furchtbar gewesen. Es war ihm damals vorgekommen wie eine permanente Untergrabung seines Selbstverständnisses, ein Angriff auf alles, was er als Mensch sein wollte: Freigeist, Reisender, Weltbürger, ein Mann, der zwar viel gesehen und erlebt hatte, aber dennoch immer noch relativ jung war. Während dieses Besuches in Lahore hatte er in lauter verschiedenen Räumen mit lauter verschiedenen pakistanischen Frauen gesessen, die sich in den verschiedensten Stadien der Verlegenheit befunden hatten. Manche waren die Sache genauso widerwillig angegangen wie er selbst, aber andere waren offenbar ziemlich begeistert von der Idee gewesen, ihn zu heiraten (was noch viel schlimmer gewesen war). Im Augenblick hätte man schwerlich etwas finden können, was er weniger tun wollte, als nach Pakistan zu gehen und Iqbal mit seinen komischen Überzeugungen und seinen stinkenden Füßen in seiner Wohnung allein zu lassen … Aber dann kam Shahid eine Idee. Vielleicht könnte er die Reise nach Lahore als Vorwand benutzen, um Iqbal aus seiner Wohnung zu schmeißen …
»Sie wird mich nicht in Ruhe lassen. Womit habe ich das bloß verdient?«, sagte Shahid. Er hätte gerne noch mehr gesagt – vielmehr –, aber das war schwierig, denn auch Rohinkas und Ahmeds Ehe war arrangiert gewesen. Jede Beschwerde seinerseits käme also einer Beleidigung gleich. Und dann war da ja auch noch die unübersehbare Tatsache, dass ihre Ehe ein rauschender Erfolg war. Ahmed liebte Rohinka, und sie (was Shahid wesentlich schwerer verstehen konnte) liebte ihn. Und obendrein war sie auch noch ein ziemlich scharfer Feger. Nun gut, arrangierte Ehen waren überholt, schon aus Prinzip falsch, erniedrigend, patriarchalisch, sexistisch und kaum besser als Prostitution (das galt jedoch für die westliche Form der Ehe genauso), aber andererseits, wenn man am Schluss so jemanden erwischte wie Rohinka …
»Und? Wolltest du nicht gerade das Prinzip der arrangierten Ehe anprangern?«, fragte Ahmed, der Shahids Gedanken erraten hatte. Denn allein bei der Vorstellung, Mrs Kamal und Shahid in einem Zimmer zu haben, konnte man sicher sein, dass es genau zu diesem Thema Streit geben würde. Shahid hätte beinahe gesagt, nicht jeder hat so viel Glück wie du – aber er tat es nicht, weil es stimmte und weil sich Ahmed viel zu sehr darüber gefreut hätte.
»Ahmed, was meinst du, wie viel hast du denn so zugenommen, seit du verheiratet bist?«, fragte Shahid. »Es müssen mindestens zehn Kilo sein, denkst du nicht auch? Usman, sag schon, ist unser Bruder nicht mindestens fünfundzwanzig Pfund fetter geworden?«
Rohinka kam vom anderen Ende des Raums mit einem Tablett voller indischer Süßigkeiten zurück – Kulfi und Gulab Jamun. Mohammed patschte mit den Händen auf seinem Kinderstuhl herum, damit auch alle wussten, dass er dieser neuen Entwicklung großes Interesse entgegenbrachte. »Jungs, seid friedlich«, sagte Rohinka, aber der Klang ihrer Stimme verriet, dass sie eigentlich gar nicht zugehört hatte und ohnehin der Meinung war, Unterhaltungen zwischen Männern führten nie wirklich zu etwas, geschweige denn zu Erkenntnis. Aber man musste sie eben trotzdem dulden, solange sie nicht wichtigeren Dingen im Wege standen.
»Ich geh mal kurz nach vorne und hole etwas Häagen-Dazs aus dem Laden«, sagte Ahmed. Er hatte Lust auf Eis, und außerdem konnte er dem Bedürfnis nicht länger widerstehen, mal nachzuschauen, was Hashim so trieb. Fatima kletterte von ihrem Stuhl und nahm ihn bei der Hand. Sie hatte eine sehr dezidierte Meinung darüber, welches Eis das beste war.
36
Die Zuflucht war ein breites spätviktorianisches Haus in einer Seitenstraße von Tooting. Ganz in der Nähe gab es einen Park, eine U-Bahn-Station und ein Freibad, und um die Ecke fanden sich zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten und Cafés. Das Haus selbst
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