Kapital: Roman (German Edition)
Irgendetwas stimmte nicht mit Iqbal. Es war nichts Bedrohliches oder Perfides, jedenfalls nicht direkt. Es stimmte einfach etwas nicht. Iqbal umgab sich gern mit einer geheimnisvollen Aura, die allein schon ausreichte, um Shahid zuirritieren; aber vor allem die Art, wie er das tat, ließ Shahid mit einem unguten Gefühl zurück. Und was noch ärgerlicher war: Sobald er seiner Familie davon erzählte, würden sie ihm Vorwürfe machen, ihm sagen, dass er selbst schuld daran war, weil er damals überhaupt erst nach Tschetschenien gefahren war, und ihn fragen, was er denn erwartet habe, wenn er bei seiner Heimkehr diverse Jihad-Kumpel anschleppte und sie auf seinem Sofa schlafen ließ? Und er musste zugeben, dass in all dem ein Körnchen Wahrheit lag, genug, um in Wut zu geraten, wenn man es sich anhören musste. Also fing er gar nicht erst damit an. Und nichts ärgert einen natürlich mehr als das, was man nicht aussprechen kann.
Fatima hatte offensichtlich gerade beschlossen, dass man ihr lange genug keine Beachtung geschenkt hatte. Sie zeigte mit einem Plastiklöffel auf ihren Vater und sagte: »Papa! Du hast gesagt, wir kriegen was Süßes!«
Mohammed war immer wesentlich ruhiger als seine Schwester und viel unabhängiger. Er konnte sich stundenlang damit beschäftigen, einfach nur vor sich hin zu spielen, und sorgte so bestens für seine eigene Unterhaltung. Aber selbst er konnte erkennen, wann er zu den Waffen gerufen wurde.
»Düßess«, sagte er. »Düßess!«
»Das ist nicht dein Ernst«, sagte Rohinka warnend zu ihrem Mann und stemmte die Hände in die Hüften – eine Position, die man im Cricket die »doppelte Teekanne« nannte. Jedenfalls hatte Ahmed das so aus seinen Spielerzeiten in Erinnerung.
»Jetzt kriegt er eins aufs Dach«, sagte Shahid fröhlich zu Usman.
»Erst wenn sie mit dem Essen fertig sind«, erwiderte Ahmed. Und zu den Kindern sagte er: »Nachher! Nicht jetzt! Nach dem Essen!«
Seine Frau, seine Tochter und sein Sohn schauten ihn alle misstrauisch an.
»Nachher!«, sagte er noch einmal. Nach einer Weile entschieden sich alle, ihm zu glauben, und die Ordnung war wiederhergestellt. Fatima ließ wieder ihre Beine baumeln, spielte mit ihrem Essenherum und aß halbherzig ein bisschen davon, und Mohammed, dem man schon vor einiger Zeit sein Schälchen weggenommen hatte, weil er fertig gegessen hatte, fing wieder damit an, einzelne Reiskörner auf dem Tablett seines Kinderstuhls hin und her zu schieben. Rohinka machte mit einem Servierlöffel eine einladende Geste, aber die Brüder stöhnten alle nur und tätschelten ihre vollen Bäuche. Als er sah, dass die Kinder abgelenkt waren, lehnte sich Ahmed vor und sagte mit leiser Stimme:
»Da ist die Sache mit Mutter, die wir besprechen müssen.«
Das war der eigentliche Grund dafür, dass sie zum Mittagessen zusammengekommen waren. Ein feierlicher Ernst ergriff alle Anwesenden. Shahid spitzte die Lippen und sagte:
»Hast du denn mit Mamaji« – und bei diesem Wort verfiel er plötzlich in einen übertriebenen Bollywood-Akzent und riss die Augen weit auf, so dass sie weiß blitzten – »schon über einen Besuch gesprochen?«
»Nein, aber sie rechnet mit einer Einladung.«
»Dann lad sie doch ein«, sagte Usman. Er bluffte nur zum Teil: Mrs Kamal war ihrem jüngsten Sohn gegenüber noch am wohlgesonnensten, auch wenn das nicht viel heißen wollte. Shahid, der als Nächster mit dem Heiraten dran war, würde es da schon viel schwerer haben, und das Gleiche galt für Ahmed. Er war zwar bereits verheiratet und daher in dieser Hinsicht vor allen Angriffen sicher, aber bei ihm würde die Mutter wohnen. Er würde ihrem Rat, ihrer Kritik, ihren Mäkeleien, ihren ständigen Berichtigungen und ihrer stummen Missbilligung an allen möglichen anderen Fronten ausgesetzt sein: wie er sein Geschäft führte, wie und wie viel er aß, wie er seine Kinder erzog und wie er sich als Ehemann, Muslim und Sohn verhielt. Mrs Kamal kam ungefähr alle zwei Jahre einmal zu Besuch, und keiner von ihnen freute sich darauf. Das letzte Mal, als sie ihre Kinder besucht hatte, war gerade Mohammed geboren worden, und daher hatte ein ziemliches Chaos geherrscht.
»Ich freue mich darauf, Mrs Kamal wiederzusehen«, sagte Rohinkaund setzte dabei ihr reizendstes Lächeln auf. Ahmed drehte sich um und warf ihr einen schneidenden Blick zu. Aber Rohinka konnte wunderbar die Unschuld vom Lande spielen. Das war einer der Gründe, warum sie so sexy war. Sie stand an der Spüle,
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