Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
Vom Netzwerk:
machte nur dann eine Ausnahme, wenn im Fernsehen Fußball übertragen wurde, und selbst da war sie sehr wählerisch. Sie schaute grundsätzlich nur Spiele aus der Premier oder der Champions League, auf keinen Fall aber Pokalspiele oder Spiele der englischen Nationalmannschaft. Vielleicht war sie wütend oder deprimiert oder hatte einen Kulturschock oder wurde so sehr von Trauer zerfressen, dass sie an nichts anderes mehr denken konnte. Es ließ sich unmöglich sagen, was von alledem zutraf.
    Heute nahm Quentina den Fußball als Vorwand, um Cho in ein Gespräch zu verwickeln. Zwar war ihr diese Sportart herzlich egal, aber Arsenal würde gegen Chelsea antreten, und das gab ihr einen Grund, an Chos Tür zu klopfen. Die Antwort war ein Brummen – kein gebrummtes »Ja« oder »Komm rein« oder »Was willst du?« –, nur ein wortloses Brummen. Quentina öffnete die Tür. Cho schaute sie kurz an und blinzelte, so als koste es sie eine unglaublichekörperliche Mühe, ihre Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Augenblick, auf das Hier und Jetzt zu richten. Dann brummte sie wieder, was anscheinend so etwas bedeuten sollte wie »Ja?«
    »Ich wollte nur mal fragen, ob du weißt, dass da heute Abend dieses Spiel ist. Das Derby«, Quentina liebte dieses Wort. »Arsenal gegen Chelsea.«
    Cho schaute sie einen Moment lang an und nickte schließlich. Das Nicken sollte wohl bedeuten, dass sie Bescheid wusste. Quentina hatte sich einige Tricks zurechtgelegt, mit denen sie Cho zum Sprechen bringen wollte, nichts Kompliziertes, vielleicht würde sie sie einfach nur fragen, wer von den beiden Teams ihrer Meinung nach gewinnen würde. Aber Chos Haltung ließ dafür keinen Spielraum. Sie wirkte so starr und unbeweglich wie eine auf den Rücken gefallene Eidechse. Quentina fragte sich nicht zum ersten Mal, ob Chos Probleme zum Teil einen rassistischen Hintergrund haben mochten. Die Chinesen hatten durchaus den Ruf, rassistisch zu sein, besonders was Afrikaner anbetraf. Vielleicht war sie ja einfach nur sprachlos vor Ekel, weil sie das Haus mit einer schwarzen Frau teilen musste. Nun, wenn das der Grund war, dann sollte sie doch bitteschön hingehen und ihren Kopf in kochendes Wasser stecken. Quentina nickte zurück und zog die Tür wieder hinter sich zu. Gerade als die Tür ins Schloss fiel, hörte sie Cho noch einmal brummen. Dieses Mal hätte man es beinah für ein »Danke« halten können.

37
    Quentinas Lebensprinzip war es, immer etwas zu haben, auf das sie sich freuen konnte. Und das war ein Glück, denn an diesem Morgen, kurz nachdem sie Cho einen Besuch abgestattet hatte und bevor sie sich auf den Weg zur Arbeit machte, um dort ihre ruritanische Zollbehördenuniform anzulegen, wurde sie auf dem Gemeinschaftstelefon von ihrem Anwalt angerufen. Die Kurdin nahm den Anruf entgegen und rief Quentina zum Telefon.
    »Hallo, ich bin in Eile«, sagte der Anwalt, eine Einleitung, die sie sehr oft von ihm zu hören bekam. »Aber es gibt Neuigkeiten, die ich Ihnen mitteilen wollte, und ich fürchte, es sind keine guten. Ich habe das Gerücht gehört, dass der oberste Gerichtshof die Abschiebung zurückgewiesener Asylbewerber nach Zimbabwe für legal erklären will. Wegen der Wahlen, die dort stattfinden werden. Sie wollen das Urteil aufheben, das im Juli 2005 gefällt wurde. Alle Betroffenen erhalten dann einen Brief mit einer diesbezüglichen Mitteilung. Das gilt auch für Sie. Es tut mir sehr leid.«
    Hätte sie fünf Minuten zum Überlegen gehabt, wären Quentina vielleicht ein paar Fragen eingefallen. Aber so hatte sie keine parat. Ihr Anwalt beendete das Gespräch. Es klang nicht so, als könnte sie irgendetwas ändern oder dagegen tun. Statt also den Tag damit zu verbringen, sich Sorgen über die Zukunft zu machen, beschloss sie, an die Verabredung zu denken, die sie an diesem Abend mit Mashinko Wilson hatte. Mashinko aus dem Kirchenchor, mit der herrlichen Stimme, den starken Schultern und den wunderbaren Muskeln … Es gab ein Lied der Black Eyed Peas, dessen Text Quentina sehr lustig fand: »My Humps«. In einer Zeile des Liedes hieß es: »my humps, my humps, my lovely lady lumps« – meine Höcker, meine Höcker, meine herrlichen weiblichen Hubbel.Darüber musste Quentina lächeln, denn es ließ sie an ihre Verabredung mit Mashinko denken. Er würde mit ihr in die afrikanische Bar in Stockwell gehen. Dort trat heute Abend eine Band aus Südafrika auf, die sich die Go-To Boys nannten. Das Leben war wunderbar. Im tiefsten Innern

Weitere Kostenlose Bücher