Kapital: Roman (German Edition)
gerade ihre Zeit an ihn verschwendet haben, Zeit, die sie nie wieder zurückbekommen werden. Er ist ein Albtraum. Und er ist in meiner Wohnung! Er stinkt meine Zimmer mit seinen Käsefüßen voll, und wenn ich mich beschwere, sagt er: ›Aber ich habe doch in diesem Monat schon mal geduscht!‹«
Wie es sich für einen großen Bruder gehört, verlor Ahmed keine Zeit mit seiner Antwort: »Du bist selbst schuld daran. Du hast ihn schließlich eingeladen.«
»Ich habe ihn nicht eingeladen, er hat sich selbst eingeladen.«
»Dann ist es deine Schuld, weil du ihm erlaubt hast, sich selbst einzuladen.«
»Ich habe es ihm nicht erlaubt, er hat sich einfach nur eingeladen.«
»Ich sehe da keinen Unterschied.«
»Das liegt daran, dass du genauso ein Schafskopf bist.«
Usman prustete fast gegen seinen Willen ein Lachen durch seinen schmuddeligen »Ich-bin-aber-frommer-als-du«-Bart, Rohinkasagte: »Jungs, nicht doch!«, und Fatima krähte: »Sie streiten, sie streiten!«
Es war Samstag, und die Kamals aßen zusammen zu Mittag, was nicht sehr oft geschah. Ahmeds Freund Hashim kümmerte sich unten um den Laden, und Ahmed selbst bemühte sich nach Kräften, zumindest fünf Minuten nicht an das Geschäft zu denken, sich nicht auszumalen, wie Hashim falsche Beträge in die Kasse eingab oder teure Lieferungen akzeptierte, ohne nach den Kundendaten zu fragen, oder Alkohol an Fünfzehnjährige verkaufte, oder vergaß, wie der Lotterie-Automat oder das Aufladegerät für die Fahrkartenchips funktionierte, bis die Schlange der Kunden bis nach draußen vor die Tür ging und seine Stammkunden sich schworen, den Laden nie wieder zu betreten …
»Iqbal scheint mir ganz okay zu sein«, sagte Usman. »Er nimmt die Dinge eben ein bisschen ernster als du, das ist alles. Das finde ich keine so schlechte Eigenschaft.«
»Rasier dich lieber mal«, sagte Shahid.
Rohinka holte eine weitere Auflaufform aus dem Ofen und stellte sie auf den Tisch. Es gab kaum noch Platz dafür, denn dort standen schon zwei andere Auflaufformen auf ihren hitzebeständigen Untersetzern, eine mit Hähnchen in einer Kreuzkümmelsoße und eine andere mit gebackenen Auberginen. Daneben stand noch eine Platte mit Naan, das in ein Küchenhandtuch eingewickelt war, um es warm zu halten, und eine Schüssel mit Dal. Das war eine von Rohinkas Spezialitäten. Sie kochte fast jeden Tag Dal, aber niemals nach demselben Rezept. Jetzt hob sie den Deckel von der dritten Auflaufform, und ein herrlich vielschichtiger Duft von Lamm und Gewürzen breitete sich in einer köstlichen Dampfwolke über dem Tisch aus. Es war ein Achar Gosht, das sie nach ihrem persönlichen Rezept zubereitet hatte. Die Männer gaben ein begeistertes Gemurmel von sich und brummten anerkennend. Das Achar Gosht hatte sie eigentlich von ihrem Gesprächsthema ablenken sollen, aber das funktionierte nicht.
»Das riecht fantastisch, aber wenn ich auch nur noch ein Fitzelchenesse, dann explodiere ich«, sagte Shahid. »Versteht ihr, das Problem mit Iqbal ist einfach, dass er keinerlei Notiz von seiner unmittelbaren Umgebung nimmt. Ich komme nach Hause und höre, wie oben der Fernseher läuft, und weiß schon vorher, dass es wieder einer dieser neuen Kanäle ist, auf denen er sich die ganzen Gräueltaten anschaut, die so in der Welt passieren. Und gleichzeitig flucht er über die Kafir-Medien. Oder er ist im Internet, tippt irgendetwas in den Computer und murmelt vor sich hin, und wenn ich dann ins Zimmer komme, schaltet er sofort den Bildschirm aus. Dabei ist es mir doch völlig egal, was er da tut. Soll er doch seine bescheuerten MSN-Chats mit seinen bescheuerten Freunden in scheiß Belgien oder Algerien oder wo auch immer machen. Er tut so, als wäre alles, was er sagt und macht, unglaublich wichtig, und gibt sich total geheimnisvoll, und währenddessen knallt er einfach seine Füße auf mein Sofa und lässt das Geschirr in der Spüle verschimmeln. Er ist wie ein Kind, das noch nicht erwachsen geworden ist, es aber selbst gar nicht gemerkt hat.«
Rohinka und Ahmed tauschten einen Blick aus. Beide dachten in diesem Augenblick, dass das auch eine recht treffende Beschreibung für Shahid war. Shahid sah den Blick und wusste genau, was er zu bedeuten hatte, aber das machte ihm nichts aus. Er wusste, dass er recht hatte.
»Glaubst du, dass er vielleicht, wie soll ich das sagen, etwas Schlimmes im Schilde führt?«, fragte Rohinka.
Shahid wollte nicht einmal daran denken. Das ging viel zu sehr in die Richtung
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