Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
Vom Netzwerk:
Bambusstange mit dem weißen Fetzen die Funktion eines Windsacks zukam, um Piloten Windrichtung und - stärke zu signalisieren. Dieser Ort hier – abseits gelegene Häuser – diente als behelfsmäßiger Flugplatz.
    Fünf Männer mit automatischen Waffen stiegen aus dem Flugzeug und verteilten sich augenscheinlich planlos im Innenhof. Der sechste Mann, der Pilot, entlud ein gutes Dutzend in Plastik verpackte Pakete von der Größe eines Schuhkartons und brachte sie mit Hilfe eines Handkarrens in meine Hütte. Mit Sorgfalt und mit Ehrerbietung stapelte er sie an der Wand, unterhalb des Porträts des Schutzpatrons der Drogenhändler. Wäre es ein Sonntag gewesen, hätte man auf die Idee kommen können, man befinde sich in einer Kirche und beobachte den Priester bei den Vorbereitungen für die Eucharistiefeier. Bevor er die Hütte verließ, streifte mich sein desinteressierter Blick. Der Mann ging zurück zum Flugzeug und stieg ein. Er brachte den rechten Propeller auf Touren, die Cessna vollführte eine elegante Drehung und hob ab Richtung Süden, nicht ohne einen kleinen Sandsturm dabei zu erzeugen. Mein Blick folgte der Maschine, bis sie nur noch ein silbriger Schimmer am klaren Himmel war und dann völlig verschwand. Die bewaffneten Männer, die vorhin aus dem Flugzeug geklettert waren, blieben zurück.
    Rigoberto kam herein, der Mann, der mich zusammen mit Clara Howler ins Haus geschafft hatte.
    »¿Qué pasa?«, fragte ich.
    Er hatte ein Gewehr dabei, ein altes Springfield aus dem Ersten Weltkrieg, das er jetzt gegen die Wand lehnte. »Lust auf eine Partie Karten?«, fragte er und gähnte.
    Er setzte sich an den Tisch und winkte mich heran. Ich setzte mich ihm gegenüber. »Five Card Draw«, sagte er. Er gab mir zehn, zwölf Streichhölzer und behielt die Schachtel für sich. »Gespielt wird nur um große Beträge. Jedes Streichholz ist eintausend dolarucos wert.« Er grinste, so albern war das. »Der Gewinner wird ein reicher Mann sein.« Er mischte die Karten kurz durch und teilte sie aus. Die Stirn gerunzelt wie ein Gelehrter, der einen alten Text studiert, sortierte er sorgfältig sein Blatt. Ein Lächeln zog sich wie eine horizontale Schneise durch sein Gesicht. In der oberen Zahnreihe blitzte ein goldener Backenzahn auf. Rigoberto sah mich an, ein ernster, zugleich aber munterer Blick aus dunklen Augen, die unter struppigen Augenbrauen saßen. »Man wird uns bald angreifen«, sagte er und beantwortete endlich meine Frage. »Pero, du musst dir keine Sorgen machen.« »Wer wird uns angreifen?«
    Er zuckte mit den Achseln. »Könnte jeder sein. Vielleicht maricónes von eurer DEA. Vielleicht ein paar panchos riatas aus Tijuana. Oder italienische Gangster aus Chicago.« Letzteres amüsierte ihn und er lachte. »Wer auch immer dich umbringt – no importa. Tot ist tot.«
    Der in Aussicht stehende Überfall ließ Rigoberto offensichtlich kalt. Er war ein kleiner Mann, ein mestizo, aber mit überwiegend indianischem Blut. Sein Gesicht trug die Abzeichen eines Kriegers; am meisten beeindruckte eine tiefe Narbe, die sich diagonal durch das gesamte Gesicht zog und von der linken Augenbraue über die Nase bis hin zum rechten Kiefer verlief. Es sah aus, als hätte jemand versucht, ihm den Schädel mit einer Machete zu spalten. Das linke Ohr fehlte fast zur Hälfte, ein perfekter Hieb. Von seinem Ohrläppchen war nur noch ein Fetzen übrig geblieben, der wie eine fleischige Träne herabhing.
    Mein Spanisch war passabel, aber nicht flott genug, um eine Unterhaltung zu führen, doch Rigoberto sprach brauchbares Englisch. Dennoch verlief unser Kartenspiel schweigend, es sei denn, er holte den Pot. Dann ließ er eine Flut von Obszönitäten vom Stapel und lächelte sein Goldzahnlächeln. Wie die meisten Krieger war er ein einfacher Mann, der sich an einfachen Dingen erfreuen konnte.
    Nach drei oder vier Spielen fand er seine Sprache wieder. »Ich hoffe, du nimmst es nicht persönlich«, bemerkte er.
    »Was?« Die Frage war überflüssig, seine Augen sagten alles.
    Er deutete mit dem Kopf auf das Gewehr, das an der Wand lehnte. »Für einen Gringo bist okay, ein netter büey, finde ich, deshalb macht es mir auch keinen Spaß.« Dich zu erschießen brauchte er nicht hinzuzufügen. Ganz klar, Rigoberto hatte den Zuschlag für den Job erhalten.
    »Was ist mit Victor Mellado?«, fragte ich.
    Er zuckte mit den Achseln. »Ich glaube, er soll jemand in Califas umbringen. Passiert einiges momentan.«
    Ich musste schwer schlucken.

Weitere Kostenlose Bücher