Kaputt in El Paso
mich an den Tisch.
Clara musterte mich von oben bis unten. »Du hast einen verdammt guten Körper, das muss man dir lassen«, sagte sie. »Wir sind eins mit unserm Körper, nicht wahr?«
Sie war stoned. Ihre Augen funkelten im Licht der Kerze und sie lächelte. Ich schnappte mir eine Tortilla, füllte sie mit Bohnen und fing an zu essen.
»Ich hab dir doch nicht wehgetan, Schätzchen? Oder?« In ihrer Stimme lag Spott, aber es klang nicht gehässig. Clara hatte die Sporttasche dabei. Sie holte etwas heraus, es schimmerte im Kerzenlicht. Eine silberne Taschenflasche. Sie setzte sich den Flachmann an die Lippen und trank. Der Geruch von Tequila zog herüber zu mir. Sie reichte mir die Flasche. Ich nahm einen ordentlichen Schluck, dann noch einen. Der Tequila stieg mir sofort in den Kopf.
»Danke«, sagte ich.
Sie schraubte die Taschenflasche zu. »Sie werden deinen Fleischladen auseinander nehmen, Walkinghorse.«
Ich sah sie verständnislos an. Die Wirkung des Tequilas war zu schön, um jetzt schon damit aufzuhören. Ich streckte die Hand nach dem Flachmann aus. Clara schraubte ihn wieder auf und gab ihn mir. Ich wollte ihr den Hals umdrehen – ich war ihr dankbar – ich wollte sie irgendwelche Treppen hinunterstoßen – ich wollte ihr die Hand küssen. Wie geht man mit dieser Berg- und Talfahrt der Gefühle um? Man lässt es geschehen.
»Fleischladen«, sagte sie. »Das hat meine Großmutter immer gesagt, wenn es um den Körper ging. Sie kam aus Liverpool. Es ist ein alter englischer Begriff, geht zurück aufs Mittelalter. Die Leute früher wussten genau, wer und was sie waren. Uns ist diese Fähigkeit abhanden gekommen. Wir sehen unsere Welt nicht mehr so real, findest du nicht? Wer von uns würde sich wohl als Fleischladen bezeichnen?«
»Warum?«
»Warum was? Warum es den Leuten heutzutage an ehrlicher Selbsteinschätzung mangelt?«
»Nein. Warum wollen sie mich töten?«
»Sie brauchen dazu keinen Grund. Der Tod ist äußerst praktisch. Hast du überhaupt eine Ahnung, wo du bist?«
»Nicht wirklich.«
»Außerhalb von Samalayuca. In der Wüste. Die Wüste gibt einen hervorragenden Friedhof ab. Hier draußen liegen hunderte, die aus rein praktischen Gründen getötet wurden.«
»Hunderte?«
»Vielleicht tausende. Hier tobt ein regelrechter Krieg. Wer das nicht wahrhaben will, ist ein Ignorant. Und es geht weiter und weiter. In den letzten zehn Jahren hat es sich sogar ein wenig zugespitzt. Kriege brauchen Friedhöfe. Den hier könnte man als Arlington der narcotraficantes bezeichnen.« Sie lachte, kramte aus ihrer Sporttasche ein Fläschchen hervor und versenkte einen kleinen, silbernen Löffel darin. Sie hob den gefüllten Löffel an ein Nasenloch, hielt das andere mit einem Finger zu und inhalierte das weiße Pulver. Um den Niesreiz zu unterdrücken, zog sie die Nase kraus. Sie lächelte. Dieses Lächeln war um einiges sympathischer als das Lächeln, das sie mir bei Jillian Renseller gezeigt hatte. »Scheiße!«, sagte sie. »Ich liebe das Zeug.«
»Warum ich?«, fragte ich. »Ich habe nichts mit Drogenhandel am Hut.«
Sie musterte mich eine Weile, dann reichte sie mir die Flasche, ihren Koks bot sie mir nicht an. »Seit dem allerersten Tag fragen diese Scheißbürger ›Warum ich?‹. ›Warum ich, Jesus? Warum ich, verdammt noch mal?‹ Man sollte meinen, dass sie diese Fragerei inzwischen satt haben. A la gente buena, sucedieron las cosas malas.«
Wenn guten Menschen Böses widerfährt – da hatte es mich eingeholt. Mein Gott, man sagte das sogar in Mexiko, aber vielleicht meinten die Mexikaner es ironisch.
»Du sprichst Spanisch wie eine Einheimische«, sagte ich. Sie nahm mir die Flasche aus der Hand. »Ich mach ’ne Menge Dinge wie eine Einheimische«, sagte sie. »Steh auf.«
Ich blieb sitzen.
Sie zog einen kleinen Revolver aus der Sporttasche und etwas, was ich nicht erkennen konnte. Sie drückte mir den Lauf gegen die Kehle. Ich stand auf.
»Hosen runter, Cowboy«, sagte sie.
»Warum?«
Sie spannte den Abzugshahn. »Weil dieses Ding dir an der Kehle sitzt, darum«, sagte sie. Ich nahm das Ernst, schließlich wusste ich, wozu Clara Howler fähig war. Ich zog die Boxershorts herunter.
»Umdrehen«, sagte Clara. »Und leg deine Hände auf den Rücken.« Sie ließ den Lauf der Waffe über meine kurzen Nackenhaare gleiten. Das andere, was sie aus der Sporttasche gezogen hatte, waren Handschellen, die sie mir jetzt anlegte. »Weißt du, wie man die Dinger auf Spanisch nennt?
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