Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kaputt in El Paso

Kaputt in El Paso

Titel: Kaputt in El Paso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick DeMarinis , Frank Nowatzki , Angelika Müller
Vom Netzwerk:
den Kopf stieß.
    »Es gibt ein altes arabisches Sprichwort«, sagte er und musterte mich durch den Rauch hindurch. »›Der Feind meines Feindes ist mein Freund.‹ Du bist frei und kannst gehen, wohin du willst, wer auch immer du bist.«

Achtzehn
    Mando Ojara, der Barkeeper der Nachmittagsschicht – wie Güero der Nachfahre eines patricio – erkannte mich nicht. Er sah nur meine Kleidung, nicht mein Gesicht. Meine Hosen waren weit wie ein Sack, die zeltartigen Hosen eines Mannes von hundertdreißig Kilo. Zusammengeknotete Schnürsenkel, die ich aus den Schuhen der Toten gezogen hatte, mussten als Gürtel herhalten. Mein Hemd war zerrissen und blutverschmiert. Die Armeestiefel, die ich einem Toten ausgezogen hatte, waren mir zu klein. Um damit laufen zu können, hatte ich Löcher für meine Zehen in die Stiefelspitzen schneiden müssen.
    »Ich bin’s, Mando«, sagte ich. Meine Stimme war heiser, mein Hals rau vom Wüstensand. »Seit Jahren machst du salzfreie Margaritas für mich.« Ich hatte einen Bart und mein vor Schmutz starrendes Haar hing mir über die Ohren. Ich roch nach Blut, Schweiß und Scheiße. Vielleicht auch nach Schießpulver; vielleicht auch nach Clara Howler.
    Endlich war auch Mando der Ansicht, dass wir uns kannten. »¡Cielos! Walkinghorse! Was ist denn mit dir passiert, Mann?«, stieß er hervor. »Ich wollte deinen mugriento Hintern gerade hinauseskortieren.« Mando, ein guter Katholik, war in puncto Flüche oder Kraftausdrücke äußerst zurückhaltend. ¡Cielos! – Himmel!– war schon das Äußerste, was er sich gestattete in den Mund zu nehmen.
    »Ich hab mich verirrt«, sagte ich und das war nicht mal gelogen. »Welchen Tag haben wir heute?«
    »Welchen Tag wir heute haben?« Mando sah mich erstaunt an. »Heute ist Mittwoch, Mann.«
    »Mittwoch? Ich hab gedacht, heute wär Montag.«
    »Wohin hast du dich denn verirrt? Auf den Mond?«, fragte Mando. »Cielos, Mann. Nimm nächstes Mal ’nen Kompass mit.«
    Mando war gedrungen, dunkel, ein Mann mit mächtiger Nase und den undurchdringlichen Mandelaugen eines Mayas. Das, was von seinem irischen Erbe noch übrig war, wurde von den prägnanteren Merkmalen seiner Erscheinung an den Rand gedrängt. Er beugte sich leicht in meine Richtung, mit bebenden Nasenflügeln. »Ai chihuahua, du musst dringend in die Wanne, Walkinghorse«, sagte er.
    »Erst mal einen Drink, Mando, por favor.«
    Er machte mir eine Margarita, eine recht üppige, und ich stürzte sie förmlich hinunter.
    Im DMZ war so gut wie nichts los. Zwei Prostituierte, Transvestiten in paillettenbesetzten Kleidern, saßen an einem der Tische und steckten die Köpfe zusammen. Die eine hatte zitronengelbes Haar und einen Teint, aus dem jegliche Farbe gewichen war. Die andere war ein dunkler Typ, eine morena. In ihrem tiefschwarzen Haar schimmerten blaumetallicfarbene Strähnchen. Beide sahen sehr attraktiv aus und ihre Nervosität war völlig überflüssig. Ihr Auftritt war perfekt, aber das DMZ ihnen nicht vertraut, also schienen sie sich zu fragen, ob dies ein Ort sei, wo ihre Masche auch zog. No problema. Ein junger Typ, ein wahrer Kleiderschrank, zog einen Stuhl heran und setzte sich zu ihnen an den Tisch. Unter seiner blonden Bürste glänzte rosafarbene Kopfhaut. Er trug ausgestellte Jeans, ein mit Perlmuttknöpfen zu schließendes Cowboyhemd in Rosé und nagelneue Stiefel aus Schlangenleder. Er war ideales Material für das Erstsemester-Footballteam jedweder Universität, aber er kam mit Sicherheit aus Fort Bliss und war Rekrut.
    »Mach mir noch einen«, sagte ich zu Mando und kramte in meinen Taschen, doch ich hatte nur noch Pesos, deren Wert nahezu stündlich zu fallen schien. Ich klatschte sie auf den Tresen. »Schreib den Rest auf meinen Zettel, Mando. Ich hab meine Brieftasche verloren.«
    Während meiner Abwesenheit hatte Güero ein neues Schild angebracht. Es hing am Spiegel, oberhalb der Bourbon-Flaschen:
    Zu lange ohne Karte und Wasser unterwegs,
    fordert die unversöhnliche Wüste ihren schrecklichen Tribut.
    Das schien auf mich gemünzt zu sein – einer dieser Zufälle, die man nicht als unbedeutsam abhaken will. Ich hob meine zweite Margarita und prostete dem synchronistischen Grammatiklapsus zu.
    Ich war zu lange in der unversöhnlichen Wüste unterwegs gewesen. Mein Gesicht im Barspiegel zeigte eine ungesunde, zinnoberrote Schattierung, eingebrannt durch ultraviolette Strahlen. Die vom Wind ausgetrocknete Haut um Augen und Mund war rissig, das Weiße in meinen

Weitere Kostenlose Bücher