Kardinal vor La Rochelle
gibt aber
einen Grund, es einzugehen, den unsere Generäle und im besonderen Herr von Bassompierre nicht kennen müssen: Wir sind mit
einer äußerst ernsten Situation konfrontiert. Der Statthalter von Mailand belagert Casale.«
Casale, schöne Leserin, das der Kardinal natürlich Casal aussprach, weil wir alle fremden Namen französisieren, liegt im Südosten
des Piemont, ist die Hauptstadt von Monferrato und wie Mantua der legitime Besitz der Gonzaga. Der Herzog von Gonzaga stand
dem Lilienbanner sehr nahe, und die Franzosen erwiderten seine Liebe und unterstützten ihn. Diese Unterstützung hatte der
arme Herzog auch sehr nötig, denn seine Nachbarn gelüstete es nach seinen Besitzungen, sowohl den Herzog von Savoyen wie die
spanischen Habsburger, die in Mailand saßen.
Die Stadt Casale nun besaß einen beträchtlichen strategischen Wert, ihrer Hoheit unterstand der Übergang über den Po und mithin
der Zugang zum Herzogtum Mailand. Und nur damit Mailand nicht eines Tages in die Hände der Franzosen fiele, wurde Casale von
den Spaniern belagert. Sie sehen hier eine Widersinnigkeit, schöne Leserin, wie sie in der Weltgeschichte nur zu häufig ist:
Um sich vor einem möglichen Angriff zu schützen, stürzt man sich in das weit schlimmere Übel, den Krieg.
»Die Spanier, meine Herren«, fuhr Richelieu fort, »haben die Gelegenheit beim Schopf gepackt, daß unser gesamtes Heer vor
La Rochelle gebunden ist, und belagern Casale, diese |216| hochwichtige Stadt am Po. Sie wird von einer französischen Garnison verteidigt, die im Sold unseres Freundes und Verbündeten,
des Herzogs von Mantua, steht, und wir werden ihm sicher zu Hilfe eilen, können es aber leider nicht in der erwünschten Stärke,
solange das Gros unserer Kräfte hier festliegt. Deshalb dachte ich mir, wir sollten einen Angriff auf La Rochelle wagen. Wenn
es uns gelingt, die Stadt zu nehmen, können wir unsere Kräfte dort einsetzen, wo sie dringlich gebraucht werden: in Italien.«
»Herr Kardinal«, sagte Pater Joseph, »was tun wir, während Ihr Leute nach Saintes und Paris entsendet, um Sprengkörper und
Sprengmeister zu beschaffen?«
»Ihr werdet mir helfen, den schwächsten und am wenigsten bewachten Punkt der Rochelaiser Mauern auszukundschaften.«
»Aber wie, Herr Kardinal?« sagte Monsieur de Guron. »Wir gehören keiner königlichen Armee an.«
»Was ich Euch vorschlage«, sagte Richelieu, »hat nichts mit militärischen Positionen zu tun. Eine ganze Anzahl von Rochelaiser
Katholiken leben außerhalb der Stadtmauern kümmerlich von tausenderlei kleinen Gewerben. Sucht sie auf und bringt sie mit
Geschick zum Sprechen darüber, wie sie Zugang zur Stadt finden. Ich bin mir sicher, daß sie Schlupflöcher kennen, denn seit
die Hugenotten sie vor ihrem ersten Kanonenschuß aus der Stadt verbannten, haben sie sich bestimmt von Zeit zu Zeit heimlich
hineingeschlichen, um mit den Eingemauerten kleine Geschäfte zu machen. Was mich angeht, so habe ich andere Informationsquellen,
die nur mir zugänglich sind, trotzdem sind diejenigen, die ich Euch zu erforschen bitte, nicht zu vernachlässigen.«
Nachdem er sich unserer Zustimmung versichert hatte, entließ er uns, und kaum hatte Charpentier uns die Tür geöffnet, versenkte
sich der Kardinal in ein Dossier, dick wie zwei Ziegelsteine. Sicherlich würde er damit bis Mitternacht beschäftigt sein,
dachte ich, was ihn nicht hindern würde, in aller Herrgottsfrühe aufzustehen, um die Deicharbeiten zu inspizieren und voranzutreiben,
wie er es tagtäglich machte, außer am Sonntag, der, wie schon gesagt, in unserem wie im hugenottischen Lager als Feiertag
eingehalten wurde.
Im Pferdestall des Kardinals, wo wir unsere Tiere holten, lud |217| ich Monsieur de Guron und Pater Joseph zum Mittagessen auf Schloß Brézolles ein. Monsieur de Guron nahm mit Freuden an, denn
er war in Pont de Pierre zwar gut untergebracht, aber schlecht verköstigt, während Pater Joseph sagte, er habe am Nachmittag
noch so viel zu tun, daß er sich mit einem Stück Brot begnügen werde. Nun ja, Pater Joseph war so mager und seinem Maultier
eine so leichte Last, daß Fogacer von ihm sagte, wenn er einmal sterbe, werde seine Seele keine Mühe haben, seinen Körper
zu verlassen.
Ich vertraute meinen Gast Madame de Bazimont an, die entzückt war, einen »ihrer Edelmänner« wiederzusehen, und ihm Loire-Wein
und ein paar kleine Vorspeisen servieren ließ, die sich nicht lange
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