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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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allerdings Symptome schlechten Befindens, aber bei ihr ist die Ursache bekannt und heilbar. Es ist der Hunger. Und
     sobald der behoben ist, geht die Heilung schnell voran. Zufrieden?«
    »Noch nicht ganz, Herr Graf. Ich glaube, sie liebt mich gar nicht. Die ganze Mahlzeit über hat sie mich kaum angesehen.«
    »Sie hat dich öfter angesehen, als du dir einbildest. Bei ihrem Aufbruch hat sie deine Wange liebkost. Sie wäre sicherlich
     viel liebenswürdiger gewesen, wenn der Hunger sie nicht so gequält hätte. Für jetzt, Nicolas, ist ihr ein Stückchen Brot wichtiger
     als du: Sie nimmt es mit ins Bett, wie du gesehen hast. Aber es ist kein ernstlicher Rivale. Es wird verspeist. Bist du nun
     zufrieden?«
    »Ach, Herr Graf, der König hat gesagt, daß er uns verheiratet, wenn er in sechs Wochen zurückkommt. Aber sechs Wochen, das
     sind zweiundvierzig Tage. Und zweiundvierzig Tage, Herr Graf, das ist entsetzlich lang.«
    »Aber denke doch, wie leicht diese zweiundvierzig Tage sich in zweiundvierzig nächtliche Träume verwandeln. Und was ist schöner
     als ein Traum, der am Ende Wirklichkeit wird?«
    »Und wenn der König nicht wiederkommt von Paris, Herr Graf?«
    »Schäme dich, Chevalier! Wie kannst du an deinem König zweifeln? Was Ludwig verspricht, das hält er, Gott sei Dank, auch.
     Nicolas, dein Bett sehnt sich nach dir. Geh es trösten.«
    Ich umarmte ihn, und als er sich noch mit vielen Dankesworten aufhalten wollte, schob ich ihn sanft hinaus, drehte den Schlüssel
     zweimal im Schloß und schlüpfte durch die Vorhänge zu Perrette. Ich küßte ihre Wangen, und sie schmeckten feucht und salzig.
    »Du weinst, Perrette?«
    »Mit Verlaub, Herr Graf, ja, ich weine.«
    »Über was oder wen?«
    »Über das arme Fräulein, das so schön ist und so schwach. |212| Über Euren armen Junker, der sich so schrecklich um sie sorgt. Und wenn ich ehrlich bin, Herr Graf, weine ich auch über mich.«
    »Über dich?«
    »Wenn die Belagerung zu Ende ist, Herr Graf, dann geht Ihr fort und laßt mich hier allein.«
    »Auch mir«, sagte ich nach einem Schweigen, »wird es nicht leichtfallen, dich zu verlassen. Aber der Kummer von morgen muß
     das Vergnügen von heute nicht stören, zumal die Belagerung noch längst nicht beendet ist. Vor uns flattert noch ein langes
     Band von Wochen und Monaten.«
    ***
    Ungefähr das gleiche, nur in edleren Worten, sagte der Kardinal am nächsten Tag anläßlich einer Zusammenkunft, zu der er den
     Herzog von Angoulême und die Marschälle Schomberg und Bassompierre geladen hatte, aber auch Monsieur de Guron, den Pater Joseph
     und mich, jedoch als stille Beobachter, wenigstens solange unsere großen Krieger – denen man nicht alles sagte – zugegen waren.
    »Meine Herren«, sagte Richelieu zu dem Herzog und den Marschällen, »wie Ihr wißt, verpflichtet mich der Auftrag Seiner Majestät,
     das Oberkommando der Armeen zu führen, die Belagerung von La Rochelle durch Blockade, gegebenenfalls aber auch durch Beschuß,
     Breschen und Angriffe fortzusetzen und zu beschleunigen. Bevor der König nach Paris ging, brachte ich die Frage eines Sturmangriffs
     zur Sprache, und Seine Majestät meinte, wenn wir eine Möglichkeit dazu sähen, wäre dies eine gute Sache, weil die Blockade
     von La Rochelle Monat für Monat die Finanzen des Reiches und die Kräfte der Soldaten erschöpfe.« Und an den Herzog von Angoulême
     gewandt, fragte er: »Was ist Eure Meinung hierzu, Monseigneur?«
    »Es wäre tatsächlich eine gute Sache, wenn sie sich nur machen ließe«, sagte der Herzog, der zwar mit gesundem Menschenverstand
     gesegnet war, aber nicht mit Genie.
    »Herr von Schomberg«, sagte Richelieu, »was meint Ihr?«
    Doch unterbrach er sich sofort, weil er sich entsann, daß Schomberg erst 1625 zum Marschall ernannt worden war, |213| während Herr von Bassompierre diese Würde bereits drei Jahre früher erlangt hatte.
    »Ich bitte um Verzeihung, Herr von Bassompierre«, sagte er, an diesen gewandt, überaus höflich, »ich vergaß Euer Vorrecht.«
    »Das tut nichts zur Sache«, sagte Bassompierre liebenswürdig, in Wahrheit aber hätte er einen solchen Verstoß gegen die Rangordnung
     niemals vergeben noch vergessen. Im übrigen hielt er sich auf Grund seiner Fähigkeiten Schomberg ohnehin weit überlegen.
    »Wie denkt Ihr, Herr von Bassompierre, über einen Sturmangriff?« fragte der Kardinal.
    Bassompierre schwieg so lange, daß man glauben konnte, er verweigere eine Antwort. Es war dies aber nur

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