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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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weibliche Äugeln, aus Scheu und
     Verführung gemischt, mich immer ungemein entzückt.
    Wir hatten kaum mit der Suppe angefangen, als Fogacer eintrat, den ich am Morgen durch einen Boten eingeladen hatte, damit
     er Mademoiselle de Foliange, neben der ich ihn plazierte, in Muße beobachten und ins Gespräch ziehen könne. Er ließ es daran
     nicht fehlen, und während das Fräulein am vergangenen Abend keinen Mucks gesagt hatte, sprach sie diesmal ausgiebig, mit leiser
     Stimme, und wir lauschten ihr in tiefem Schweigen, zuerst aus Neugier, bald aber mit zunehmender Ergriffenheit.
    »Hunger zu verspüren ist erfreulich«, sagte sie, »wenn man weiß, daß einen ein Mahl erwartet, wenn man aber weiß, man wird
     ihn nicht befriedigen können, wird dieses Gefühl zur Demütigung und Folter.«
    »Warum Demütigung?« fragte Fogacer.
    »Weil man von früh bis spät an nichts anderes denken kann als an Essen. Könnt Ihr Euch vorstellen, daß man den ganzen Tag
     und oft auch nachts, wenn der quälend hohle Magen einen weckt, ob man will oder nicht, damit beschäftigt ist, sich alles Gute,
     was man je gegessen hat, vor Augen zu führen, ob die gute heiße Milch und die süßen Schnitten der Kindheit oder die köstlich
     knusprigen Braten, bevor die Tore von La Rochelle sich für uns schlossen. Das ist eine Heimsuchung, die ganz abscheulich ist.
     Je schwächer der Körper, je schwerer die Glieder |220| werden, so daß einem bei jeder rascheren Bewegung das Herz klopft, desto mehr verliert man auch die Beherrschung seiner Seele,
     man wird auf die Stufe eines armen streunenden Hundes herabgewürdigt, der die Abfälle durchwühlt, um sich am Leben zu erhalten.
     Hinzu kommt die Angst zu sterben, die immer größer wird, je mehr die Kräfte schwinden.«
    Mademoiselle de Foliange war nahe am Weinen, während sie diese Qualen beim Erzählen nacherlebte. Doch half ihr ihre neuerwachte
     Lebenslust, die Tränen zurückzuhalten.
    Ich konnte an diesem Abend lange nicht einschlafen, weil ich mich der langen bitteren Tage erinnerte, die ich in der Zitadelle
     Saint-Martin auf der Insel Ré verbracht hatte, als wir von Buckinghams Armee belagert waren. Nicht, daß Nicolas, meine Schweizer
     und ich solch äußerste Not hatten leiden müssen, wie Mademoiselle de Foliange sie geschildert hatte. Obwohl unsere Rationierungen
     streng genug waren, um uns etliche Pfunde abnehmen zu lassen, war unser Hunger doch nicht so groß gewesen, daß wir das Schlimmste
     fürchten mußten. Wenn aber der Hunger in La Rochelle soweit ging, daß eine vornehme, reiche Familie ihre Gespannpferde schlachten
     mußte, damit man zu essen hatte, wie mochte es dann den Armen gehen, oder auch nur den kleinen Leuten, die nicht das Geld
     hatten, die wenigen Waren zu kaufen, die es noch zu kaufen gab, die aber unseren Spionen zufolge schon unerhörte Preise erreicht
     hatten?
    ***
    Am folgenden Tag begab ich mich mit Nicolas nach Pont de Pierre, um wie jeden Tag den Kardinal aufzusuchen. Er war aber noch
     nicht zurückgekehrt vom Deich, den er, wie gesagt, tagtäglich bei Wind und Wetter inspizierte, weil nichts die Arbeiten so
     anzutreiben vermag wie die Gegenwart des Bauherrn.
    Charpentier führte uns in einen kleinen Raum, wo ein gutes Feuer brannte, und dort fand ich Monsieur de Guron und den Pater
     Joseph, der mir, kaum daß ich neben ihm saß, mit unverhohlener Freude mitteilte, daß er sich mit einem Rochelaiser Katholiken
     angefreundet habe, der wie manch anderer davon lebte, Nahrungsmittel zu den Belagerten einzuschmuggeln. Diese Leute kannten
     die Schwachstellen der Festung, gewiß, aber sie betrieben ihr Geschäft unter Lebensgefahr: Im königlichen |221| Lager drohte ihnen der Galgen, von den Wachsoldaten auf den Mauern die Erschießung. Ach, wie der Pater frohlockte, daß ihm
     ein Erfolg beschieden war, den Monsieur de Guron und ich nicht aufzuweisen hatten!
    »Bedenkt doch bitte, meine Herren«, sagte er, »daß der Anblick eines mageren, kleinen Kapuziners auf seinem bescheidenen Maultier
     so einem Schmuggler in keiner Weise Furcht einflößen kann, während Eure prächtige, kriegerische Erscheinung ihn von vornherein
     erschreckt. Der Himmel bewahre mich davor, Euch dies zum Vorwurf zu machen. Aber wenn man Euch sieht auf Euren großen Pferden,
     mit Euren prächtigen Kleidern, Euren Stulpenstiefeln und Kriegsdegen, ganz zu schweigen von dem, was man nicht sieht, aber
     doch ahnt: Daß Ihr Pistolen in den Satteltaschen tragt –, welcher

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