Kardinal vor La Rochelle
sesso
von klein auf aus dem Effeff beherrscht, in der aber das sogenannte starke Geschlecht seine erheblichen Schwächen hat.
Nun kam Luc, der in Abwesenheit von Monsieur de Vignevieille den Majordomus vertrat, und meldete, daß Monsieur de Guron Einlaß
begehre, denn er habe Mademoiselle de Foliange eine Willkommensbotschaft vom Kardinal zu überbringen.
Wie der Leser sich erinnern wird, war Monsieur de Guron einer von Richelieus treuen Dienern, und als der König nach Paris
abreiste, hatte er ihm anvertraut, wie sehr es ihn schmerze, den Herrn Kardinal zu verlassen. Groß und wohlbeleibt, doch mit
feinem Geist begabt, entbot Monsieur de Guron mit etwas altväterlicher Gravität den Damen seine Begrüßung, je nach ihrem Rang.
Dann überreichte er unserer Schönen ein Schreiben Richelieus, und als sie es las, lief sie rot an vor Glück und Verwirrung.
Selbstverständlich lud ich auch Monsieur de Guron zu Tisch, nachdem er den langen Ritt von Pont de Pierre nach Saint-Jean-des-Sables
auf sich genommen hatte. Er nahm die Einladung, wenn ich so sagen darf, rundweg an, schließlich war er – wie übrigens auch
Ludwig – bekannt als einer der »Vielfraße« des Hofes. Sobald aber das Essen aufgetragen war, rief er allseitige Betretenheit
hervor, als er sich an Mademoiselle de Foliange wandte.
»Madame«, sagte er, »der Herr Kardinal hat Eurethalben seinen Leibarzt konsultiert, und in Anbetracht der Tatsache, wie lange
Ihr darben mußtet, rät er Euch, sehr maßvoll zu essen, zumindest in den ersten acht Tagen, und nicht Eurem Hunger nachzugeben.
Denn würdet Ihr diesen heute voll befriedigen, könnte es Euer Leben verkürzen.«
Mademoiselle de Foliange erblaßte und hatte Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten, so enttäuscht war sie, sich nach den langen
Monaten bei karger Ration nicht erlaben zu dürfen, wie es sie gelüstete. Da wir anderen einsahen, wie wenig zartfühlend es
gewesen wäre, nach Belieben zuzulangen, während sie aß wie ein Mönch zur Fastenzeit, nahmen wir, ohne uns irgend abzusprechen,
immer nur wenig von jedem Gericht, um ihr Gesellschaft zu leisten und sie in ihrer erzwungenen Mäßigkeit zu unterstützen.
|210| Ich beobachtete, daß sie jeden Bissen sehr lange kaute, um ihm alle Würze und allen Saft abzugewinnen, und sicherlich auch,
um ihr kurzes Glück so lange wie möglich auszukosten. Am Ende der Mahlzeit, während der sie kein einziges Wort gesprochen
hatte, kehrte in ihre Wangen ein wenig Farbe zurück. Sie bedankte sich leise bei mir und bat Madame de Bazimont, die mütterlich
wachend hinter ihrem Stuhl gestanden hatte, sie auf ihr Zimmer zu geleiten. Bevor sie den Tisch verließ, erbat sie sich eine
kleine Schnitte Brot, damit sie es, wie sie sagte, in der Nacht essen könne, wenn ihr der Magen zu weh täte. Im Vorbeigehen
streichelte sie mit dem Handrücken Nicolas’ Wange, sagte aber keinen Ton. Wir vier erhoben uns, und eigentlich hätte sie uns
einen Knicks machen müssen, unterließ es vermutlich aber, weil sie fürchtete, dabei das Gleichgewicht zu verlieren, denn kaum
daß sie auf den Beinen stand, hakte sie sich bei Madame de Bazimont ein und drückte ihren Arm an sich, um sich aufrecht zu
halten.
***
Als Mademoiselle de Foliange gegangen war, blieben auch wir nicht mehr lange beisammen, Monsieur de Clérac zog es schleunigst
zurück zu seinen Musketieren und Monsieur de Guron zu seinem Bett. Also suchten auch Nicolas und ich früher als gewohnt unsere
Zimmer auf.
Perrette half mir beim Auskleiden, und während ich in meiner Blöße mir Gesicht und Hände wusch, klopfte es an meiner Tür.
Ich bedeutete Perrette durch ein Zeichen, im Bett zu verschwinden, zog die Vorhänge um sie zu und fragte meinen Besucher in
rauhem Ton, wer er sei, obwohl ich es mir denken konnte.
»Herr Graf«, sagte die Stimme von Nicolas, »ich bin es und bitte tausendmal um Vergebung, daß ich Euch noch zu stören wage,
aber ich muß Euch unbedingt etwas fragen, sonst kann ich bestimmt die ganze Nacht nicht schlafen vor Angst und Sorgen.«
»Das verhüte Gott, Nicolas, wart einen Moment.«
Ich warf meinen Hausmantel über und öffnete. Nicolas trat blaß herein, wie aufgelöst.
»Herr Graf«, sagte er, da ich ihn wortlos anblickte, »denkt Ihr, daß sie sterben muß?«
|211| »Mademoiselle de Foliange?«
»Ja.«
»Wie kommst du auf die Idee?«
»Sie ist so bleich, sagt kein Wort, und wenn sie geht, dann taumelt sie.«
»Das sind
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