Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
angreifen wird.«
    Dem König ging es aber nicht so sehr darum, mich über besagte Gründe zu unterrichten: Er wollte sie, zumindest verstand ich
     es so, zu gerne selbst noch einmal hören, so hoch beglückten ihn diese gewaltigen Befestigungswerke, die La Rochelle vom Meer
     und von jeglicher Hilfe abschnitten.
    »Sire«, sagte Richelieu, »ich behaupte nicht, daß die englische Flotte nicht angreifen wird. Ich behaupte aber, daß sie alle
     Gründe hat, es bleibenzulassen. Lord Denbigh, der sie befehligt, ist Lord und Admiral nur von Gnaden seines Schwagers Buckingham.
     Ein armer frischgebackener Lord, der nichts vom Krieg und noch weniger von der Marine versteht! Die Vorstellung, sein Leben
     und die Flotte seines Königs zu verlieren, muß ihn entsetzen. Und seine Kapitäne werden ihn sicherlich nicht zum Angriff ermutigen.
     Wir haben in der Bucht so viele Hindernisse und eine solche Feuerkraft aufgerichtet, daß es jedem auf den ersten Blick klarwerden
     muß, daß ihnen das Eindringen sehr schwerfallen dürfte, aber, sollten sie eindringen, das Herauskommen noch viel schwerer.«
    Hierauf legte Richelieu eine Pause ein, um die Aufmerksamkeit seines Gebieters durch dieses Schweigen zu bannen.
    |259| »Andererseits, Sire«, fuhr er in verändertem Ton fort, »kann Lord Denbigh aber, sofern er mehr töricht als vernünftig und
     mehr wagemutig als besonnen ist, seinem guten Stern vertrauen, besagte Hindernisse mißachten und sich zum Angriff entschließen.
     In dem Fall, Sire, möchte ich an Bord eines unserer Schiffe gehen, um den Verlauf der Seeschlacht zu beobachten und daraus
     Schlüsse für die Erneuerung Eurer Marine zu ziehen.«
    »Und ich«, sagte Ludwig mit Nachdruck, »ich befehle und beschwöre Euch in Gottes Namen, Euch nicht dieser Gefahr auszusetzen.
     Es ist der größte Liebesbeweis, den Ihr mir geben könnt, wenn Ihr acht auf Euch habt, denn Ihr wißt, was ich Euch mehrmals
     sagte: Wenn ich Euch verlöre, scheint mir, wäre ich selbst verloren.«
    »Oh, Sire!« sagte Richelieu.
    Mehr sagen konnte er nicht, denn Ludwig kehrte ihm den Rücken und entfernte sich raschen Schrittes, wahrscheinlich weil es
     ihm peinlich war, daß er sich zu solchem Erguß hatte hinreißen lassen. Ich warf einen Blick auf den Kardinal, und da ich ihn
     den Tränen nahe sah, erschüttert gleichsam vor Seligkeit, dieses Zeugnis der Dankbarkeit und Zuneigung seines Herrn vernommen
     zu haben, wollte ich nicht der indiskrete Dritte sein. Wortlos entschwand ich aus seiner Nähe und folgte dem König, doch in
     gebührendem Abstand, um auch ihn in seinen Empfindungen nicht zu stören.
    Ach, Leser, wie wunderbar und großmütig fand ich, je länger ich darüber nachsann, diese königliche Ehrerweisung gegenüber
     der untadeligen Ergebenheit und der unerhörten Arbeitsleistung seines Ministers! Und wie er diese ausgedrückt hatte: »Wenn
     ich Euch verlöre, scheint mir, wäre ich selbst verloren.« Ein Satz, so ergreifend in seiner Sohnesliebe und so bewundernswert
     in seiner Demut, daß er für immer in mein Gedächtnis eingeschrieben blieb, und ich setze ihn hier zum zweitenmal, auf daß
     er als ehernes Zeugnis gegen den derzeitigen Hofklatsch stehe, der, von den gehässigen Unterstellungen der diabolischen Reifröcke
     beeinflußt, in den Fluren des Louvre umging und behauptete, der König sei »ein Idiot, den ein Tyrann beherrscht«.
    ***
    |260| Der Leser wird sich des Marquis de Bressac erinnern, um dessen Lösegeld ich auf königlichen Befehl mit den Hugenotten verhandelte
     – bis zu jenem Tag, als im Bretonischen Pertuis die englische Flotte aufkreuzte und Hauptmann Sanceaux siegestrunken glaubte,
     die Königin der Meere werde La Rochelle erretten.
    Besagte Flotte jedoch hatte nach achttägigem Warten beigedreht, ohne sich zum Kampf zu entschließen – ein Beweis von gesundem
     Menschenverstand. Die Verhandlung mit dem Stadtrat wurde wieder aufgenommen, und nachdem wir uns über die Höhe des Lösegelds
     geeinigt hatten, konnte der Marquis de Bressac seinen Kerker endlich verlassen, fiel mir vor Dankbarkeit in die Arme, drückte
     mich zum Ersticken und schwor mir die schönste Freundschaft, noch treuer und verläßlicher als die von Achill und Patroklos
     oder von Orest und Pylades. Ganz grün und blau war ich nach seinen Umarmungen, denn Bressac war ein Hüne von Mann, mit mächtigen
     Schultern, Beinen wie Säulen und einem Gesicht, das sei nicht verschwiegen, wie ein bärtiger Barbar. Unter dieser rauhen

Weitere Kostenlose Bücher