Kardinal vor La Rochelle
Schale
aber verbarg sich eine freimütige Seele und eine große Menschenliebe.
Er war der Sohn eines Hugenotten, der sich, mit einem Messer an der Kehle, zum Katholizismus bekehrt hatte, und ein so guter
Katholik er selbst auch war, hatte er der reformierten Religion doch gleichsam eine Kindesliebe bewahrt, die seine Kerkermeister
anfangs erstaunte, die sie jedoch sehr anrührte, als sie deren Grund erfuhren.
Der hünenhafte Marquis wurde von drei Frauen geliebt: seiner Mutter, seiner Schwester und seiner Gemahlin. Als sie von seiner
Gefangennahme hörten, schickten sie ihm, ohne sich untereinander abzusprechen, Pakete mit allerlei Delikatessen. Diese Pakete
wurden von den Rochelaisern erst in die Stadt gelassen, nachdem man sie geöffnet und durchwühlt hatte, um sich zu vergewissern,
daß darin keine Seile, Feilen oder Dolche versteckt waren. Nach der Durchsuchung aber wurden sie dem Gefangenen ausgehändigt,
ohne daß jemals der kleinste Teil der ihm zugesandten Köstlichkeiten einbehalten wurde. Ebenso hatten die Rochelaiser sich
gegen den Feldmarschall Manassés de Pas verhalten (der unterdes übrigens für ein sehr hohes Lösegeld freigekommen war). Und
genauso wie den Feldmarschall eine so seltene Redlichkeit gerührt hatte, vor allem bei |261| Menschen, die so bitter darbten, erfüllte sie auch Herrn de Bressac mit Bewunderung, und von Stund an teilte er die guten
Dinge mit seinen Bewachern.
Nun glauben Sie ja nicht, Leser, daß der Marquis de Bressac, ein Gardehauptmann, der ein hohes Lösegeld wert war, in einem
elenden, vergitterten Gefängnis gesessen hätte. Er bewohnte mit seinen beiden Wächtern ein leerstehendes kleines Haus, dessen
Bewohner kürzlich verhungert waren, ebenso wie viele andere in der unglückseligen Stadt, wo tagtäglich an die zehn Menschen
vor Entkräftung starben, und diese Zahl erhöhte sich in den folgenden Monaten noch stetig in der entsetzlichsten Weise.
Die beiden Gefangenenwärter, die Monsieur de Bressac in seinen Erzählungen Peter und Paul nannte, wichen ihm nicht von der
Seite, froh, ihm ihr Überleben zu verdanken. Sie führten ihn in der Stadt und am Hafen spazieren, damit er sich die Beine
vertreten konnte. Sie nahmen ihn sogar mit zum Gottesdienst, denn der Marquis sagte, für ihn sei es kein Unterschied, ob er
in einem protestantischen Tempel oder in einer Kirche bete, Gott sei da wie dort derselbe. Als er ins königliche Lager zurückkehrte,
bestritt er allerdings, diesen Satz jemals geäußert zu haben. Und den Rat dazu gab ihm Fogacer, der besser als jeder andere
die Orthodoxen und ihr erbittertes Streben kannte, jemanden der Ketzerei zu überführen.
»Trotzdem ist es derselbe Gott«, sagte Bressac treuherzig.
»Gewiß«, sagte Fogacer mit seinem langsamen, gewundenen Lächeln, »aber es gibt zweierlei Weise, ihn anzubeten: Die unsere
ist gottgefällig, die ihre verdient Abscheu.«
In den Wochen darauf kam Monsieur de Bressac, der eine Wohnung nahe Brézolles gefunden hatte, mich oft besuchen und wurde
uns schließlich zum Hausfreund. Uns sage ich, denn nicht nur mir war er stets willkommen, auch Nicolas und Madame de Bazimont,
die noch nie einen so großen, so breiten und so muskulösen Mann gesehen hatte und eines Tages erklärte, daß er »sehr schön«
sei und daß sie sich gar nicht an ihm sattsehen könne.
»Im Ernst, Mama?« sagte die junge Gattin von Nicolas und zog eine kleine Schnute. »Gewiß ist der Marquis ein sehr wohlgeborener
Edelmann, und er weiß Interessantes zu erzählen, aber schön? Findet Ihr ihn wirklich schön, Mama?«
|262| Natürlich war es eine liebenswürdige Herablassung, daß Madame de Clérac, geborene Foliange und Verwandte der Rohans, Madame
de Bazimont, deren seliger Gemahl sich den Adelsnamen nur durch den Kauf eines Gütchens erworben hatte, so vertraulich mit
»Mama« anredete. Aber mich rührte es, welche Dankbarkeit ihr die junge Frau damit bezeigte, die bei ihrer Ankunft doch einem
armen verirrten Küken geglichen hatte, das Madame de Bazimont sogleich unter ihre wärmenden Fittiche nahm.
»Ist das wahr, Madame«, sagte Nicolas, der ja wußte, wie gern die Haushofmeisterin sich necken ließ, wenn es ohne Bosheit
geschah, »Ihr findet Monsieur de Bressac wahrhaftig schön?«
»Das finde ich, jawohl«, sagte Madame de Bazimont und errötete wie eine Jungfer, »er ist nicht so schön wie Ihr, Herr Chevalier,
und auch nicht wie der Herr Graf. Aber ich würde
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