Kardinal vor La Rochelle
und noch bevor ich ihr das Ende unserer gemeinsamen Nächte zu verkünden hatte, plagte mich das Gewissen,
ihr Leid zuzufügen. Denn dieses Leid, daß ich es nur gestehe, teilte ich in gewissem Maße, |289| weil ich wußte, wie unendlich trübselig und quälend es sein würde, gleich einem Mönch in seiner Zelle schlafen zu müssen,
ohne an meiner Seite die Wärme eines weiblichen Körpers zu spüren.
Am ersten Tag, nachdem ich ins Feldlager von La Rochelle zurückgekehrt war, nahm ich mit Nicolas den Weg nach Pont de Pierre,
um den Kardinal aufzusuchen. Ich fand aber nur Charpentier, der sehr beschäftigt war, die Verpackung ganzer Aktenberge in
Kisten zu überwachen. Der Kardinal, so unterrichtete er mich, habe in Pont de Pierre zu sehr unter Regen und Wind gelitten
und sei daher umgezogen ins Schloß von La Sauzaie, das ihn, weiter landein gelegen, besser vor diesen Unbilden schütze. Doch
als ich mich darauf besorgt nach der Gesundheit Seiner Eminenz erkundigte, lächelte Charpentier von einem Ohr zum anderen.
»Seine Eminenz hat sich um zehn Jahre verjüngt, seit die englische Expedition so kläglich gescheitert ist. Mitunter trällert
er ein Liedchen, ohne Worte, und abends lädt er jetzt die Marschälle ein zum Kartenspiel.«
»Was sagt Ihr da?« rief ich. »Der Kardinal spielt Karten?«
»Und wie! Und im Eifer des Spiels passiert es sogar, daß er Verwünschungen ausstößt, wenn auch dezente.«
»Und die Belagerung?«
»Die Rochelaiser sind mittlerweile zu schwach auf den Beinen, um Ausfälle zu machen, und der Kardinal hält es für unnütz,
noch Menschenleben in Kämpfen zu riskieren. Er meint, jetzt müsse man nur noch warten: La Rochelle werde dem König in die
Hände fallen wie eine reife Frucht.«
»Wird verhandelt?«
»Es wurde versucht, aber ohne viel Erfolg. Der König hatte den Einfall, seinen Herold in prächtigen Kleidern und mit drei
Trompetern im Gefolge auszuschicken, damit er vor einem der beiden Tore einen Aufruf an die Stadt verlese. Darin versprach
er den Rochelaisern ein Generalpardon, wenn sie sich ›ihrem Herrscher und natürlichen Gebieter‹ ergeben würden. Hingegen drohte
er ihnen mit ›allen Härten‹, falls sie in ihrer Rebellion fortführen.«
»Gefiel es denn dem Kardinal«, fragte ich lächelnd, »daß der königliche Herold die Rochelaiser mit ›allen Härten‹ bedrohte?«
|290| »Weiß ich nicht«, sagte Charpentier, der es sehr wohl wußte.
Tatsächlich hatte Bürgermeister Guiton, um den Widerstand der Rochelaiser zu stärken, das Gerücht ausgestreut, wenn die Stadt
kapituliere, würden »alle Männer gehängt, die Frauen und Mädchen vergewaltigt und die Häuser geplündert«. Von »allen Härten«
sprechen hieß also, Wasser auf seine Mühle zu leiten.
»Und was wurde aus dem schönen Herold in seinem prächtigen Kleid?« fragte ich.
»Auf Befehl des Bürgermeisters drohten ihm die Rochelaiser von den Wällen, ihn zu erschießen, wenn er seine Proklamation verlesen
würde. Er saß ab, legte seine Proklamation auf die Erde, saß wieder auf und schwenkte voll Würde kehrtum.«
Ich lachte. Charpentier aber, der fürchtete, schon zuviel gesagt zu haben, verschloß sich wie eine Auster. Doch lehrte mich
sein Schweigen, daß es zwischen dem König und seinem Minister wegen dieser majestätischen Proklamation eine Meinungsverschiedenheit
gegeben hatte. Mich regte das nicht auf. Ludwig und Richelieu gerieten immer wieder mal in Streit und schmollten einander
sogar, ohne daß ihre tiefe Eintracht dadurch beeinträchtigt wurde.
Ich bat Charpentier, bei den Musketieren des Kardinals, die über den Transport der Geheimdokumente wachten, anzufragen, ob
sie mir einen der ihren leihen könnten, um mich zum Schloß La Sauzaie zu führen. So wurde mir ein Musketier namens Lameunière
zugeteilt, der mir sehr verbindlich diente, aber ohne ein Wort zu sagen.
Im Gegensatz zu den Königlichen Musketieren, die sämtlich von Adel waren, waren es die Musketiere des Kardinals bei weitem
nicht alle. Und anstatt Großmäuler und Prahlhänse zu sein wie die königlichen, glänzten sie durch Schweigen und Bescheidenheit.
Sosehr sie also von den königlichen verachtet wurden, weil sie nicht durchweg Edelleute waren, nötigten sie diesen doch einen
gewissen Respekt einzig auf Grund ihrer Verschwiegenheit ab. Im übrigen wurde von Musketier zu Musketier – ob sie dem König
unterstanden oder dem Kardinal – niemals blankgezogen: Ein
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