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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Schwurgericht. In Städten
     jedoch wie La Rochelle, wo es kein Schwurgericht gibt, urteilt und straft das Präsidialgericht sowohl in Delikt- wie in Verbrechensfällen.
     So hatten wir vor nicht langem denn folgenden Mordfall: Ein Edelmann aus der Saintonge war bei einem völlig nichtigen Streit
     von einem Rochelaiser |299| Soldaten erschlagen worden. Unser Kriminalassessor, Raphael Colin, machte sich mit den Tatsachen vertraut, setzte den Soldaten
     fest und begann, ihn zu verhören. Kaum aber hatte er damit begonnen, erhielt er ein Schreiben vom Bürgermeister, der ihn des
     Falles gebieterisch entsetzte unter dem Vorwand, da das Verbrechen von einem Soldaten begangen wurde, unterliege die Affäre
     dem Kriegsrat, welchem er als Heerführer vorsteht.«
    »Gehörte denn auch das Opfer der Armee an?« fragte ich.
    »Eben nicht«, sagte Ferrières.
» Ergo
, gehörte der Fall vors Präsidialgericht, welches einstimmig entschied, daß Raphael Colin die Entsetzung durch den Bürgermeister
     verwerfen solle. Was er auch tat.«
    »Und wie reagierte Guiton?«
    »Höchst übel. Er gebrauchte Gewalt gegen uns. Er schickte an die zehn Männer, welche unseren Kerker erbrachen, sich des Soldaten
     bemächtigten und ihn in den Kerker des Stadtrats verbrachten, wo er auf der Stelle gerichtet wurde.«
    »Änderte das irgend etwas am Schicksal des armen Teufels?« fragte ich.
    »Nichts«, sagte Pandin des Martes. »Das Verbrechen war unentschuldbar. Der Kriegsrat verdammte ihn zum Galgen. Unser Präsidialgericht
     hätte nichts anderes getan.«
    Ich kam nicht umhin, mich im stillen zu fragen, was die ganze Aufregung sollte, wenn das Ergebnis hier wie dort das gleiche
     war. Aus den ernsten und düsteren Gesichtern meiner Richter las ich jedoch eine solche Entrüstung, einen solchen Groll, daß
     mir klar wurde, wie schwer die Beleidigung war: Die ihnen heiligen Institutionen waren verletzt worden, zum ersten durch die
     Entsetzung und dann durch die Hinrichtung.
    »Was tatet Ihr darauf?« fragte ich.
    »Wir machten Guiton und seinen Anhängern insgeheim den Prozeß und verurteilten sie, mit dem Strick um den Hals und barfuß
     im Gerichtssaal öffentliche Abbitte zu leisten. Sie sollten Gott, den König und die Gerichtsbarkeit um Verzeihung bitten und
     hierauf für drei Jahre aus La Rochelle verbannt werden.«
    Ein Glück, dachte ich, daß die Richter sich noch herbeigelassen hatten, die Gerichtsbarkeit nach Gott und dem König an die
     dritte Stelle zu setzen.
    |300| »Aber das Urteil konnte doch nicht ausgeführt werden«, sagte ich, »da Guiton die Waffenhoheit innehat.«
    »Selbstverständlich«, sagte Pandin des Martes, »war unser Urteil nicht durchführbar, es muß geheim und schwebend bleiben,
     bis der König La Rochelle befreit.«
    Meine Güte, dachte ich, dann gibt es ja wenigstens ein paar Rochelaiser, die nicht vor Gram und Zorn vergehen werden, wenn
     der König ihre Mauern betritt!
    »Meine Herren«, sagte ich, »was geschah aber, das Euch zur Flucht veranlaßte?«
    »Guiton war empört, daß Raphael Colin es gewagt hatte, seine Macht zu bestreiten, ließ ihn unverzüglich wegen Konspiration
     festnehmen und setzte ihn gefangen. Der Kriminalassessor des Präsidialgerichts im Kerker! Stellt Euch die Entrüstung des Präsidialgerichts
     vor, aber auch seine furchtbare Sorge. Denn wenn Guitons Schöffen anfingen, Colins Papiere zu durchwühlen, fänden sie mit
     Sicherheit das schmähliche geheime Urteil, welches das Präsidialgericht über den Bürgermeister und seine Gefolgschaft verhängt
     hatte … Am selben Tag versuchten Monsieur Ferrières und ich, die Rochelaiser Mauern zu überwinden, und es ist uns, Gott sei
     Dank, geglückt.«
    Nun hatte ich reiche Ernte an Auskünften über die inneren Kämpfe in La Rochelle gemacht, und ich muß sagen, ich war baff.
     Was sollte man zu der Anmaßung dieses Bürgermeisters sagen, der dem Präsidialgericht willkürlich einen Fall entzog, nur damit
     er den Ruhm einstreichen konnte, einen Galgenstrick zu verurteilen und zu hängen? Und was zu der Einfalt dieser Richter, die
     besagten Bürgermeister zu drei Jahren Verbannung verurteilten, obwohl er in ihrer Stadt alle Macht in Händen hielt? Gütiger
     Gott, dachte ich, was sind die Menschen doch närrisch, kindisch und kleinlich, und das noch in den Fängen des gräßlichsten
     Todes! Allerdings, um noch Lust an solchen Spielchen zu haben, dürften weder das Präsidialgericht noch der Stadtrat einen
     Hunger leiden wie

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