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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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das Volk, das auf den Straßen »Frieden oder Brot!« schrie und wankend zurückwich vor den Piken der Soldaten.
    Nach einem Blick auf meine Taschenuhr nahm ich Abschied von meinen Gästen, versicherte sie, ich würde mein Bestes tun, damit
     der König ihnen Vergebung gewährte und sie bald zu ihren Familien im Aunis entließe. Dann nahm ich mit Nicolas |301| den Weg nach Schloß La Sauzaie. Als ich von Charpentier aber erfuhr, daß Richelieu in Surgères beim König sei, spornte ich
     meine Accla, auch diese lange und beschwerliche Strecke brav zurückzulegen.
    Welch ein Jammer, dachte ich, daß unsere schönen Pferde ein so kurzes Leben haben und selten älter werden als zwanzig Jahre,
     so daß ein Reitersmann in seinem Leben zwei oder drei treue Gefährten zu betrauern hat, obgleich sein eigenes doch so lange
     auch nicht währt! Ich entsinne mich, wie ich meinen Großvater Siorac einmal treuherzig sagen hörte, wenn der Herr ihn in sein
     Paradies aufnähme, so wollte er dort lieber einige seiner schönen Füchse wiedersehen als so manche Menschen, die er beim Namen
     nennen könnte.
    Der König wie der Kardinal waren so begierig zu erfahren, was innerhalb der Rochelaiser Mauern geschah, daß ich vorgelassen
     wurde, kaum daß ich dem Türhüter meinen Namen genannt hatte. Ich fand, der König sah gut aus und hatte gute Farbe, denn es
     war Sommer, und er jagte viel in Surgères, die Jagd war das Brot und die Milch seines Lebens. Dafür wirkte der Kardinal wieder
     hohlwangig und angespannt, was mich nicht wunderte bei seiner riesigen täglichen Arbeit.
    Ich lieferte dem König und Richelieu einen genauen Bericht meiner Gespräche mit den beiden Richtern, ohne etwas auszulassen,
     ohne etwas hinzuzufügen, nicht einmal einen günstigen Kommentar über die Personen. Aber dieser Kommentar war ja auch überflüssig,
     er ergab sich aus meinem Bericht.
    »Ich danke Euch, Siorac«, sagte Ludwig, »welchen Auftrag man Euch auch gibt, Ihr erfüllt ihn immer lobenswert. Was meint Ihr,
     Herr Kardinal?«
    »Monsieur d’Orbieu bestätigt im allgemeinen und in gewissen Punkten vollständig, was ich durch meine Zuträger aus La Rochelle
     höre. Es ist unverkennbar, Sire, daß Guiton nach und nach eine absolute Macht errungen hat. Er hat die militärische Gewalt
     an sich gerissen und befehligt als einziger in der Stadt die Truppen. Er hat dem Präsidialgericht die richterliche Gewalt
     entzogen und einem Kriegsrat übertragen, der aus seinen Getreuen besteht und dessen Vorsitz er führt. Er hat den ehemaligen
     Bürgermeister, Jean Godefroy, ausgeschaltet, einen hochgeachteten Mann, dem, nach ihm, die erste Stimme im Rat zustand.
    |302| »Guiton ist noch weitergegangen: Er hat eine Sonderkommission gegründet, die befugt ist, jeden zu verfolgen und zu verurteilen,
     der über Stadtrat oder Bürgermeister übel redet. Im Wissen um die Tyrannei, die er ausübt, und in der Furcht, ermordet zu
     werden, hat er sich eine Prätorianergarde von Hellebardieren geschaffen, die ihn umgibt und schützt, wo er geht und steht.
     Ich würde sagen, alles in allem beruht diese tyrannische Macht auf acht Pastoren und den zwölf Schöffen, die ihm im Stadtrat
     die Mehrheit sichern. Noch nie hat eine so kleine Anzahl von Personen, die höchstwahrscheinlich gut zu essen hat, so unnütz
     eine ganze Stadt dem Hungertod überantwortet.«
    »Herr Kardinal«, sagte Ludwig, »meint Ihr, daß die Bevölkerung von La Rochelle unter diesen furchtbaren Bedingungen noch lange
     durchhalten kann?«
    »Sire, sie wird gezwungenermaßen durchhalten, solange die Handvoll Personen, die sie unterjocht, die Hoffnung nährt, daß die
     neue englische Expedition, die Buckingham und König Karl ihnen versprochen haben, endlich kommt und ihre Stadt erlöst.«

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    |303| ZWÖLFTES KAPITEL
    Wenn ich mich recht entsinne, war es Ende August, als aus London – und von wem anders als Mylady Markby? – ein gefährlich
     offenherziger Brief bei mir eintraf, der allerdings weder von ihrer Hand geschrieben noch unterzeichnet war, doch verriet
     sich die Urheberin durch die besondere Anrede, die nur mir gelten konnte, wie auch dadurch, daß das Sendschreiben von London
     per Frachtschiff an die Gebrüder Siorac zu Nantes gegangen war, die es mir auf dem schnellsten Wege hatten zukommen lassen.
     Dieser Brief, Leser, sei dir nun in Gänze mitgeteilt. Ich müßte mich schrecklich verwünschen, wenn ich ein so flammendes Pamphlet
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