Kardinal vor La Rochelle
am Tisch
zu plazieren. So setzte ich die hübsche junge Madame de Clérac zur Rechten von Monsieur Ferrières in der Annahme, daß er trotz
seines steifen und würdevollen Wesens dem weiblichen Geschlecht nicht abhold sei. Auf einen Wink von mir, den er mit sichtlicher
Bangnis erwartete, setzte sich Nicolas zur anderen Seite seiner strahlenden Gemahlin, die er |297| die ganze Mahlzeit über mit begehrlichen Augen betrachtete. Wahrscheinlich konnte er nach den furchtbaren vierzehn Tagen und
Nächten, in denen die Reise nach Nantes ihn seines Glückes beraubt hatte, von ihr noch immer nicht genug bekommen.
Neben Nicolas setzte ich Fogacer, der, auch wenn er seinem Atheismus und seinen schwulen Neigungen auf alle Zeit entsagt hatte,
für die Anmut schöner junger Männer platonisch gleichwohl empfänglich blieb. Zwischen Fogacer und mich hieß ich die vor Glück
errötende Madame de Bazimont Platz nehmen, und den Ehrenplatz zu meiner Rechten bot ich Monsieur Pandin des Martes als dem
älteren der beiden Richter. Hierauf warf ich einen Blick in die Runde und fand, ohne mich mit Gott vergleichen zu wollen,
daß mein Werk gelungen war. Ein jeder am Tisch konnte sich seines Nachbarn freuen.
Sobald alle saßen, fragte Fogacer die Richter, ob sie in La Rochelle sehr unter dem Hunger gelitten hätten, weil es sich in
dem Fall empfähle, zunächst vorsichtig zu essen.
»Wir haben unter Einschränkungen gelitten«, sagte Pandin des Martes, »aber nicht gehungert, weil wir jeder nur einen Mund
versorgen mußten: den eigenen, denn beide hatten wir, bevor die Belagerung begann, Frau und Kinder in unsere Landhäuser im
Aunis geschickt, um ihnen die Schrecken des Krieges zu ersparen.«
Wie ich bemerkte, setzten diese Worte Madame de Bazimont in Erstaunen. Weil der Pfarrer von Saint-Jean-des-Sables gesagt hatte,
die Hugenotten seien verräterische Rebellen gegen ihren König und Gebieter, vor allem aber geschworene Feinde unseres heiligen
Vaters, des Papstes, kurzum, teuflische Geschöpfe, den ewigen Flammen der Hölle geweiht, konnte sie es kaum fassen, daß sie
doch Menschen waren und, wie es den Anschein hatte, sogar gute Ehemänner und Väter.
»Meine Herren«, sagte sie, womit sie zum erstenmal das Wort an die beiden Hugenotten zu richten wagte, »dann müßt Ihr doch
sehr ungeduldig sein, Eure Familien aufzusuchen.«
»Dessen dürft Ihr gewiß sein!« sagte Ferrières, »und zumal der Weg vom königlichen Lager bis zu unseren Landhäusern nicht
einmal weit ist, denkt man den ganzen Tag nur daran. Aber die Entscheidung liegt in den Händen Seiner Majestät. Wir mögen
die Rebellion der Unseren gegen unseren Herrn |298| und König noch so mißbilligt haben, allein auf Grund der Tatsache, daß wir während der Belagerung in La Rochelle geblieben
sind, haben wir gewissermaßen an dem Bürgerkrieg teilgenommen.«
Dieser Skrupel, der nur einem sehr strengen Gewissen entspringen konnte, rührte mich außerordentlich.
»Meine Herren«, sagte ich, meiner Aufwallung folgend, »ich wünsche von ganzem Herzen, daß der König Euch vergebe und daß Ihr
Eure Familien bald wiedersehen könnt.«
Ein Murmeln warmherziger Zustimmung lief um den Tisch, und ich sah, wie es unsere Richter bewegte, obwohl sie schwiegen.
Warum, fragte ich mich später oft, mag diese Tischrunde in meiner Erinnerung eine so glückliche Spur hinterlassen haben, daß
ich noch heute nicht daran denken kann, ohne daß Freude mein Herz erfüllt? Ich kann es mir nur so erklären, daß in allen,
die damals um unseren Tisch auf Brézolles versammelt waren, viel Liebe war und viel guter Wille.
***
Nachdem meine Gäste am nächsten Morgen gefrühstückt hatten, bat ich sie zu mir in den kleinen Salon und nahm mit ihrer Zustimmung
das Gespräch an dem Punkt wieder auf, bei dem es gestern verblieben war und der mir von großer Bedeutung erschien: die Verletzung
der Institutionen von La Rochelle durch den Bürgermeister, Jean Guiton.
»Herr Graf«, sagte Pandin des Martes, »um den Konflikt zwischen dem Bürgermeister und dem Präsidialgericht zu verstehen, müßt
Ihr Euch ins Gedächtnis rufen, daß in den französischen Städten, die ein Schwurgericht haben, das Präsidialgericht über die
leichteren Delikte urteilt und Strafen wie Auspeitschen, Pranger oder Galeere für eine begrenzte Zeit verhängt. Die eigentlichen
Verbrechen, welche die Todesstrafe oder lebenslängliche Galeere nach sich ziehen, unterliegen dem
Weitere Kostenlose Bücher