Kardinal vor La Rochelle
Quadratschädel
und seinem roten Bart auftauchte.
»Du Hallier«, raunte ich ihm ins Ohr, »wie soll man bloß durch diese ganze schöne Gesellschaft zum König gelangen?«
»Nichts leichter als das, Herr Graf, der König hat mir befohlen, Euch sofort bei Eurer Ankunft einen Weg zu ihm zu bahnen.«
»Ach!« sagte ich hocherfreut, »wie gut sich das trifft!«
»Und noch besser, als Ihr denkt«, sagte Du Hallier mit geheimnisvoller Miene. »Auf denn, zum Sturmangriff!« sagte er. »Erlaubt,
Herr Graf, daß ich Euch beim Arm fasse und Euch vor mir her schiebe.«
»Meine Herren!« rief er mit seiner Stentorstimme, die das |314| Gemurmel, das sich über den gebeugten Höflingsnacken erhob, weithin übertönte. »Auf Befehl des Königs, laßt den Grafen von
Orbieu passieren!«
Und – o Wunder der starken, gebieterischen Stimme! – schon teilte sich die Menge wie einst das Rote Meer vor den Hebräern.
»Eure Majestät«, sagte Du Hallier, »hier ist der Graf von Orbieu.«
Und nun vollzog sich das unvergeßliche Ereignis, das mein Leben verändern sollte. Ludwig, der mit einem Kopfkissen im Rücken
dasaß und Brotscheibchen in ein gekochtes Ei tunkte, blickte mich an, lächelte, dann ließ er seinen Blick zugleich majestätisch
und einverständig über die hohen Herren um ihn schweifen, dann richteten sich seine Augen auf Du Hallier.
»Du Hallier«, sagte er in einem gespielt schimpfenden Ton, »Ihr hinkt um einen Titel nach! … Meine Herren«, fuhr er, an Orléans,
Bellegarde und Chevreuse gewandt, fort, »dieser Edelmann, den Ihr hier seht, ist der Herzog von Orbieu und Pair von Frankreich.
Nehmt ihn mit Ehren auf, er ist der Eure.«
Mir war, als schwänden mir die Sinne, doch ein Aufbegehren der Selbstachtung stand mir bei, ich fiel am Kopfende des königlichen
Lagers ins Knie und küßte voll unendlicher Dankbarkeit die Hand, die er mir reichte. Dabei bemerkte ich gleichwohl, daß die
Hand ein wenig nach Eigelb roch, und so kam es, daß ich bis heute kein Ei essen kann, ohne daß mir dieser so lieb gewordene
Geruch wiederkehrt, der für mich noch nach so vielen Jahren Freude bedeutet.
Die Herzöge umarmten mich einer nach dem anderen, am aufrichtigsten allerdings der Herzog von Chevreuse, mein Halbbruder,
dem ich nie anderes vorzuwerfen hatte als seine ebenso schöne wie schreckliche Gemahlin. Doch sei der Wahrheit halber eingeräumt,
daß die beiden sehr getrennt voneinander lebten und sich nur selten begegneten, und wenn, dann in Mißmut oder Wut.
Sowie die Umarmungen endeten, sagte der König, daß der Kardinal mich mit einem Auftrag erwarte, entließ mich und befaßte sich
wieder mit seinem Ei. Abermals durchschritt ich die Menge der Höflinge, nicht ohne von sämtlichen Anwesenden begafft zu werden.
Was verschlug es mir? Ich schwebte auf Wolken.
|315| Sonderbar, als Nicolas mir meine Accla vorführte, nannte er mich bereits »Monseigneur«, so schnell hatte sich die Neuigkeit
verbreitet. Tief in Gedanken versunken, trabte ich zur Wohnung des Kardinals, und mit einemmal fiel mir auf, wie glücklich
der König den Augenblick gewählt hatte, mich im Adelsrang zu befördern.
Er hatte zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Einerseits belohnte er einen treuen Untertan für seine auf der Insel Ré
wie auch vor La Rochelle geleisteten Dienste, gleichzeitig war dies ein unausgesprochener Vorwurf an die Adresse der drei
hohen Herren, die es sich während der ganzen Dauer der Belagerung in ihren schönen Pariser Häusern, fern den Unbequemlichkeiten
des Krieges, hatten wohl sein lassen.
Doch außer daß er mir den Herzogtitel verliehen hatte, der für gewöhnlich den Abkömmlingen großer Familien vorbehalten ist,
was ich ja nicht war, hatte mich der König, ungeachtet meines Alters, auch zum Pair von Frankreich ernannt, eine Würde, die
nicht einmal den erblichen Herzögen immer zugesprochen wurde, die sie aber heiß begehrten, weil sie ihnen die Kammer der Pairs
öffnete und Ansehen und Bedeutung versprach. Wie paradox: Diese blendende Auszeichnung, die der König mir zuerkannt hatte,
würde mir viele Feinde schaffen und gleichzeitig die Macht geben, ihren Bosheiten zu wehren.
Der königlichen Tradition gemäß belohnt der Herzogtitel eine ganze Familie, und wenn meine, wie gesagt, auch nicht hochgeboren
war, so hatte sie sich doch bei der Verteidigung des Reiches ausgezeichnet. Mein Großvater hatte unter dem Herzog von Guise
gekämpft, als dieser im
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