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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Untergebenen, vor allem aber bei jenen, die mir auf der Welt die Liebsten seien, meinem Sohn und derjenigen,
     die ihn mir geschenkt hatte.
    Als Nicolas mir beim Auskleiden half, sagte ich ihm, was am morgigen Tag anstünde und daß er noch an diesem Abend Hörner ausrichten
     solle, daß unsere beiden Pferde pünktlich um halb zehn Uhr gestriegelt, gebürstet und gezäumt bereitstehen müßten, denn wir
     würden bis Chef de Baie gewiß eine Stunde brauchen, um Lord Montagu zu empfangen, wenn er mit seiner Schaluppe landete.
    »Monseigneur«, sagte Nicolas, »darf ich fragen, ob Ihr zum Empfang des englischen Lords nur mich mitnehmen wollt?«
    »Natürlich.«
    »Aber, mit allem Respekt, Monseigneur, das geht nicht. Der englische Lord könnte sich gekränkt fühlen, wenn Ihr mit so dürftiger
     Begleitung erscheint, um den Gesandten des Königs von England zu empfangen. Und Ihr erweist auch Eurem Rang nicht die gebührende
     Ehre, wenn Ihr nur mich dabeihabt.«
    |320| »Soll ich deiner Ansicht nach mit meinen sämtlichen Schweizern anrücken?«
    »Nein, nein, Monseigneur. Ich denke, Hauptmann Hörner und vier der stattlichsten Schweizer, allesamt in ihren besten Kleidern
     – das genügt. Ihr solltet den Empfang mit der gebotenen Feierlichkeit und Zeremonie umgeben, damit ehrt Ihr nicht nur den
     englischen Lord, sondern auch Euch selbst und den König.«
    »Nicolas, du machst mich sprachlos. Woher weißt du das?«
    »Von meinem großen Bruder, Monseigneur. Ein Hauptmann der Königlichen Musketiere muß die Etikette gründlich kennen, sofern
     er keinen Irrtum begehen und sich lächerlich machen will, wenn nicht Schlimmeres.«
    Nach reiflicher Überlegung gab ich dem Jungen recht, zumal Richelieu mir empfohlen hatte, Lord Montagu mit aller gebührenden
     Zuvorkommenheit zu empfangen. Also schickte ich meinen vor Freude und Wichtigkeit ganz närrischen Junker, Hörner die von ihm
     selbst gegebenen Anweisungen auszurichten.
    Dies war das zweite Mal am Tag meiner Beförderung, daß ich eine Lektion in Etikette erhielt, und beide Male von Personen,
     die mir im Rang nun ferner gerückt waren und sich die Sache trotzdem so zu Herzen nahmen. Das gab mir zu denken, daß Diener,
     sobald sie eine, wenn auch bescheidene, Rolle spielen, aus »Feierlichkeit und Zeremonie« beinahe ebensoviel Glanz beziehen
     wie der Herr. Die stolze und glückliche Miene, die ich am nächsten Morgen in den Gesichtern Hörners und der vier Schweizer
     Hünen sah, die er zu meiner Begleitung ausgewählt hatte, bestätigte diesen Gedanken. Man mußte nur sehen, wie sie in ihren
     besten Wämsern die Schultern reckten, wie ihre Stiefel spiegelten und ihre Degenscheiden in der Morgensonne blitzten. Glanz
     und Ehre fielen bei diesem Empfang des englischen Gesandten in Chef de Baie nicht nur auf Montagu und mich. Meine Eskorte
     hatte ihr Teil daran. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob unsere Pferde dies nicht auch verspürten, so fein und blank gestriegelt
     waren sie zu diesem Anlaß, so schmuck zu Zöpfen geflochten waren Mähne und Schweif. Es fehlten nur noch die Schleifen.
    Wie dem auch sei, Pferde und Männer nahmen im Dreieck Aufstellung vor dem kleinen Landungssteg, auf den Lord |321| Montagu den Fuß setzen würde. An der Spitze der Gruppe ich. Hinter mir, auf gleicher Höhe, Hörner und Nicolas. Und hinter
     ihnen die vier Schweizer Riesen, so regungslos, daß es aussah, als wären sie allein eine ganze Armee.
    Während wir in so tadelloser Anordnung warteten, kam ein berittener Gefreiter, der ein zweites Pferd am Zügel führte. Marschall
     von Bassompierre stelle es Lord Montagu zur Verfügung, erklärte er nach ehrerbietigem Gruß. Es war keine Sekunde zu früh,
     denn schon entstieg Lord Montagu der Schaluppe, die ihn von unserem Admiralsschiff an Land brachte. Ich erkannte ihn sogleich
     an seinem für einen Engländer ungewöhnlichen Äußeren, denn Haare, Augen, Schnurrbart, alles war bei ihm tiefdunkel, weshalb
     Lady Markby ihn nicht ohne Zärtlichkeit
il mio bell’italiano
1 genannt hatte.
    Ich saß ab und trat lebhaft auf ihn zu, doch blieb mir kaum die Zeit, ihm meine Grüße zu entrichten, denn schon umarmte er
     mich und überschüttete mich in wirklich ganz unenglischer Weise mit einer Springflut ebenso herzlicher wie lobender Worte.
    Von Lord Montagus Aufenthalt bei uns blieben mir zwei Episoden in Erinnerung, eine wie die andere allerdings von allerhöchstem
     Interesse, wie Richelieu gesagt hätte: die Besichtigung des

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