Kardinal vor La Rochelle
interessanten.
Dem Wunsch des Kardinals gehorchend, las ich den Brief von Anfang bis Ende vor, und er lauschte mit aller Aufmerksamkeit.
»Abgesehen von einigen weiblichen Übertreibungen«, sagte er zum Schluß, »mangelt es der Lady nicht an Hellsicht, wenn sie
davon spricht, daß die Engländer über die Ermordung des Doktor Lamb hinausgehen könnten. Welches Datum trägt der Brief, Monsieur
d’Orbieu?«
»Er ist nicht datiert, Herr Kardinal, und hat sicherlich einige Tage gebraucht, bis er mich erreichte, weil er zunächst an
meine Brüder nach Nantes ging.«
»Das erklärt«, sagte Richelieu, »daß Lady Markbys Brief von den Ereignissen überholt worden ist. Was hörtet Ihr, Monsieur
d’Orbieu, als Ihr voriges Jahr in London wart, über die |308| Beziehungen zwischen Königin Henriette-Marie und Bouquingan?«
»Daß sie abscheulich waren, Eminenz. Daß Bouquingan der armen Königin das Leben als Französin, als Katholikin und als Frau
schwermachte, wo er nur konnte. Daß es keine Schäbigkeit, keine Bosheit gab, die er ihr nicht antat, keine Verleumdung, die
er nicht über sie ausstreute, bis er sie schließlich mit König Karl entzweit hatte.«
»Seht Ihr, Monsieur d’Orbieu, und deshalb«, sagte Richelieu mit einer hämischen Freude, die ihm sonst nicht eigen war, »ließ
Henriette-Marie ihrem königlichen Bruder eiligst die gute Nachricht zukommen, die ihr der erschütterte Karl in London mitteilte:
Daß Bouquingan in Portsmouth ermordet worden ist.«
»Der Herzog ermordet?« fragte ich verblüfft.
»Sagte ich nicht, Lady Markbys Brief sei überholt? Bouquingan wurde am dreiundzwanzigsten August erstochen, mit einem Messer
mitten ins Herz, von einem stellungs- und brotlosen Offizier namens John Felton. Wir erfuhren es durch einen Diener Henriette-Maries,
dem es gelang, heimlich den Ärmelkanal zu überqueren und unser Lager zu erreichen. Trotzdem ist Lady Markbys Brief in mehrerer
Hinsicht interessant.«
»Herr Kardinal«, sagte ich, »glaubt Ihr, daß es nach Buckinghams Tod überhaupt noch zu einer englischen Expedition kommen
wird?«
Richelieu war so erstaunt, daß ich ihm eine Frage zu stellen wagte, daß er einen Moment schwieg. Sein Schweigen beschämte
mich ebensosehr, als wenn er mich getadelt hätte. Und ich fühlte mich höchst unangenehm auf die Stufe von Nicolas versetzt,
wenn ich ihm seine Neugier verübelte.
»Das ist eine Frage«, sagte Richelieu, »die Seine Majestät mir auch stellen wird. Und ich denke«, fuhr er fort, »die Antwort
ist ja. Aus einer Art Treue über den Tod hinaus wird Karl auf diese Expedition nicht verzichten wollen: Sie wird kommen, auch
wenn in England niemand an ihren Erfolg glaubt.«
Ein Schweigen trat ein.
»Monsieur d’Orbieu«, sagte Richelieu dann, »wie sprecht Ihr Bouquingan englisch aus?«
» Buckingham
, Herr Kardinal.«
»Lieber Gott«, sagte er, »diese Engländer! Was für eine unaussprechliche |309| Sprache! Und dazu diese unbegreifliche Politik. Zumindest war sie es zu Bouquingans Lebzeiten. Wenn man ein Urteil über ihn
abgeben sollte«, fuhr er nach einer Weile fort, »müßte man sagen, daß er ein Mann von geringem Geburtsadel, aber noch geringerem
Geistesadel war, ohne Tugend, ohne Bildung, dumm geboren und nichts dazugelernt. Sein Vater war geistig verwirrt, sein älterer
Bruder so schwachsinnig, daß man ihn einsperren mußte. Und er selbst, immer zwischen Vernunft und Narrheit, voller Extravaganzen,
wütend und haltlos in seinen Leidenschaften.«
Hierauf bat mich der Kardinal, ihm den Brief Lady Markbys zu überlassen, weil er ihn dem König zeigen wolle, dann entließ
er mich mit höflichem Dank für meine Dienste. Auf dem Heimweg nach Brézolles versuchte ich mir Richelieus vernichtenden Nachruf
auf Buckingham einzuprägen, ich wiederholte mir seine Sätze in einem fort, damit ich sie zu Hause vollständig niederschreiben
konnte.
Als die Belagerung zu Ende und ich wieder in Paris war, zeigte ich meinem Vater das kostbare Zeugnis. Er las es und lächelte.
»Man kann nicht behaupten«, sagte er, »daß das Urteil des Kardinals über Bouquingan allzu christlich wäre … Dennoch bleibt
der große Vorwurf, den man gegen Buckingham erheben muß, bestehen. Die Kriege, die er gegen Spanien und danach gegen Frankreich
führte, waren das Ergebnis kleinlicher, persönlicher Rankünen. Um seinen verletzten Stolz zu rächen, ließ er viele Spanier,
viele Franzosen, viele der Seinen
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