Kardinal vor La Rochelle
sah, daß er, so wacker er sich auch hielt, doch ziemlich aufgeregt und durcheinander war, schlug ich vor, daß
wir uns setzten, das Gespräch werde etwas dauern. Sichtlich erleichtert stimmte er zu und blickte mich schweigend an. Auch
ich betrachtete ihn, und ich muß gestehen, was ich sah, gefiel mir.
Er war nicht eben groß, wirkte aber sehr stämmig, obwohl er infolge der Belagerung auch abgemagert war. Aber nicht abgemagert
bis auf die Knochen, wahrscheinlich weil er zu den vorausschauenden Rochelaisern gehörte, die vor Beginn der Belagerung große
Vorräte angelegt hatten. Sein Gesicht war sonnengebräunt und fast so dunkel wie das eines Sarazenen, wie es bei einem langgedienten
Seemann nicht verwundern konnte. Seine Nase war groß und kühn gebogen, der Kiefer kantig, die Augen stahlblau, und wenn er
in Zorn ausbrach, war sein Blick sicherlich schwer zu ertragen.
Davon konnte heute jedoch keine Rede sein, wo er stoisch, ohne Stolz, ohne Trotz, aus meinem Mund das Verdikt des Königs erwartete.
Ehrlich gesagt, diese stumme Würde imponierte mir.
»Monsieur«, sagte ich, »Seine Majestät hat mich beauftragt, Euch folgende Befehle zu übermitteln. Wenn der König eine seiner
guten Städte besucht, ist es der Brauch, daß der Bürgermeister ihm entgegenschreitet. Der König wünscht, daß Ihr Euch dieser
Pflicht morgen enthaltet und daheim bleibt.«
|353| »Monseigneur, es geschehe, wie Seine Majestät befiehlt«, sagte Guiton.
»Der König wünscht, daß Eure Hellebardiergarde aufgelöst wird und daß die Hellebarden bis morgen im Rathaus niedergelegt werden.«
»Es soll geschehen«, sagte Guiton.
»Der König wünscht, daß der Kriminalassessor des Präsidialgerichts, Raphael Colin, der während der Belagerung von Euch unzulässigerweise
gefangengesetzt wurde, noch heute aus dem Kerker entlassen wird.«
»Das ist schon geschehen, Monseigneur.«
»Der König hält dafür, daß die ganze Stadt La Rochelle für die Rebellion gegen sein Zepter die Verantwortung trägt und nicht
Ihr allein. Folglich werdet Ihr weder verhaftet noch verurteilt, und Eure Güter werden nicht beschlagnahmt. Doch werdet Ihr
nach der Abreise des Königs für eine Dauer von sechs Monaten La Rochelle verlassen.«
»Ich allein, Monseigneur?«
»Nein, Monsieur. Ein Dutzend anderer Personen haben diese kurze Verbannung zu teilen, darunter die Pastoren Salbert und Palinier.
Somit verbleiben in La Rochelle sechs Pastoren, genug also, um den Gottesdienst während der Abwesenheit der genannten aufrechtzuerhalten.«
»Monseigneur«, sagte Guiton nach einem Schweigen, »darf ich Euch bitten, Seiner Majestät zu übermitteln, daß ich unendliche
Dankbarkeit empfinde und bis ans Ende meiner Erdentage empfinden werde für die wunderbare Milde, die er gegenüber seinen rebellischen
Untertanen bezeigt. Mir sind die Augen aufgegangen. Ich sehe heute klar, daß La Rochelle nur besiegt werden konnte, weil Gott
uns verlassen hat. Und mir ist klar, daß Er uns verlassen hat, weil Er unser Bündnis mit der fremden Macht nicht guthieß,
noch unser Aufbegehren gegen unseren legitimen und natürlichen Herrscher. Es ist vollkommen klar für mich, daß es Gott war,
der Ludwig zu der großmütigen Vergebung bewegt hat, die er seinen schuldigen Kindern heute erweist. Monseigneur, dies werde
ich niemals vergessen. Ich ziehe aus meiner Verblendung die Lehre und werde dem Gebieter, den der Herr uns gegeben hat, künftig
ein treuer Diener sein.«
Diese Sprache beeindruckte mich. Das war etwas anderes als die geschwollene Rhetorik, mit der die Rochelaiser Abgeordneten |354| ihren König um Verzeihung gebeten hatten. Guiton kamen seine Worte von Herzen, aus einer untadeligen Aufrichtigkeit, die sich
bis in die biblischen Anklänge seiner Reue bekundete. Wie wünschte ich, Leser, einen so lebendigen Glauben zu haben! Was diese
gewissenhaften Hugenotten auch tun im Leben, sie fühlen sich bei allem von einem Gott begleitet, der sie bald für ihre guten
Taten belohnt und bald straft für begangene Fehler!
Schöne Leserin, bevor wir Guiton verlassen, den ich Ihnen ans Herz legen möchte, sollen Sie wissen, daß er Seiner Majestät
in der Zukunft tatsächlich ein treuer Diener war. Und so trifft man ihn Jahre später als Admiral eines königlichen Geschwaders,
dem Dienst des Königs mit Leib und Seele ergeben.
Im Begriff, Guitons Haus den Rücken zu kehren, hörte ich großen Lärm, und bald sah ich, daß er von
Weitere Kostenlose Bücher