Kardinal vor La Rochelle
ich, der ich ihn von klein auf kannte, daß er doch strahlte,
so großes Vergnügen hatte ihm diese immerhin ziemlich lange und ermüdende Revue gemacht. Denn auch wenn er auf harte und unbeugsame
Disziplin hielt, liebte er seine Soldaten, und sie erwiderten es ihm, so gerecht wußten sie ihn und so bedacht auf ihr Wohl
und ihre Gesundheit. Allerdings wäre es ihnen lieber gewesen, er hätte sich weniger um ihr geistliches Wohl gesorgt, denn
bekanntlich hatte Ludwig aus dem Feldlager alle Huren und Weiber verbannt, die der Ruhe der Krieger hätten dienen können.
»Das ist zu hart fürs arme Tier«, sagte mir eines Tages ein Soldat, »ein ganzes Jahr ohne Frau! Wenn der Herr gewollt hätte,
daß unsereiner so einsam lebt, hätt’ er uns dann eine Rippe weggenommen und Eva draus gemacht?«
Ludwig empfing mich gut und sagte, ich solle mich augenblicklich Schomberg anschließen, um in La Rochelle einen dringlichen
Auftrag zu erfüllen.
»Hier steht alles«, sagte er und übergab mir ein Papier. »Die ser Befehl ist vom Herrn Kardinal unterzeichnet und von mir gegengezeichnet. Er muß pünktlich und nach dem Sinne ausgeführt werden.«
Ich fragte mich, was mit diesem »nach dem Sinne« wohl gemeint sei, aber einem König stellt man bekanntlich keine Fragen, |351| und ich dachte mir, wenn es ein Strafbefehl wäre, hätte er ihn doch einem Feldmeister erteilt und nicht mir. Dies bestätigte
sich zu meiner Erleichterung, als ich von dem Papier Kenntnis nahm. Ich kehrte zurück zu Schomberg und sagte ihm, was für
mich anstand. Hörner hieß einen seiner Schweizer absitzen, gab mir dessen Pferd und schien ebenso stolz und glücklich wie
Nicolas, daß wir unter den ersten das große Ereignis miterleben sollten: den Einmarsch der königlichen Armee in La Rochelle.
Obwohl das Tasdon-Tor zum Zeichen der Unterwerfung weit offen stand, hütete sich Schomberg, sofort mit der langen Kolonne
der zwanzig Kompanien hindurchzuziehen. Zuerst richtete er sein Fernrohr zu sorglicher Prüfung auf die Zinnen. Als er dort
keine Menschenseele gewahrte, schickte er Du Hallier und fünf Offiziere zu Pferde, doch ohne Degen aus, die Stadt nach möglichen
Störenfrieden zu durchstreifen. Den sechs Berittenen folgte ein Trommler, der auf den Straßen in Abständen innehielt und die
Einwohner daran gemahnte, daß sie laut Befehl alle Waffen, Musketen, Pistolen, Degen, Piken und Dolche, im Rathaus abzuliefern
hätten. Wenn sie deren noch im Hause hätten und nicht so weit gehen könnten, beschwor er sie, diese vor ihrer Haustür niederzulegen.
Jeder, bei dem hiernach noch Waffen gefunden würden, werde sofort erschossen.
Binnen einer knappen Stunde kehrte das Detachement der Offiziere zurück, und Schomberg sagte, jetzt stehe es mir frei, mit
meiner Eskorte aufzubrechen, um meinen Auftrag zu erfüllen, während er mit seinen Truppen alle wichtigen Posten und Stellungen
der Stadt besetzen werde.
Wenn Nicolas und Hörner sich vom Einzug in La Rochelle eine große Gemütserhebung versprochen hatten, so wurden sie rasch enttäuscht,
als sie sahen, wie die Leichen auf den Straßen lagen und die wenigen Überlebenden bleich und entfleischt hier und da lungerten
in der Hoffnung, daß man ihnen etwas zu essen gebe. Wir hatten es nicht ganz einfach mit unseren Pferden, die bei Ansicht
der Toten in große Unruhe gerieten, so daß wir schließlich absitzen und sie am Zügel führen mußten. Doch waren die Pioniere
unserer Armee bereits geschäftig, die entseelten Hüllen fortzuschaffen und auf dem Friedhof zu begraben.
|352| Nicht leicht war es auch, einen Einwohner zu finden, der im Kopf noch klar genug war, mich zu verstehen, und noch Stimme genug
hatte, mir zu sagen, wo ich das Haus des Bürgermeisters Guiton fände. Endlich konnte ich dort anklopfen, und eine blasse Frau
fragte durch einen Türspalt, wer ich sei.
Ich nannte meinen Namen und verlangte auf Befehl des Königs, den Bürgermeister zu sprechen.
»Kommt Ihr den Herrn Bürgermeister verhaften?« fragte die Alte mit zittriger Stimme.
»Nein, Gevatterin«, sagte ich. »Monsieur Guiton wird nicht verhaftet, er hat nichts zu befürchten. Geht ihn nur holen, Gevatterin.«
Ich mußte aber länger warten als gedacht, Guiton machte vermutlich erst ein wenig Toilette, bevor er sich mir zeigte. Endlich
kam er, lüftete seinen Hut und grüßte mich mit großem Respekt. Ich erwiderte seinen Gruß, was ihn sehr zu verwundern schien.
Und als ich
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