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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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anschließend
     vor den König geführt. Er saß in einem Lehnstuhl, den die höchsten Vertreter des Hofes umstanden. Nach dem Kniefall vor Seiner
     Majestät hielt der Rochelaiser Daniel de La Goutte im Namen der Stadt eine hochgeschwollene Rede, die mir ziemlich zuwider
     war. Darin wurde der König mit der Sonne verglichen, derer die Rochelaiser beraubt gewesen seien. So lange hätten sie in finsteren
     Verliesen geschmachtet, daß ihre Augen nun ganz geblendet seien vom Glanz ihrer Strahlen und ihre Helligkeit kaum zu ertragen
     vermögen … La Goutte schloß mit dem Versprechen, die Rochelaiser würden für alle Zeiten der ihnen erwiesenen Gnade segnend
     gedenken und bis zum letzten Seufzer ihres Lebens die sehr ergebenen, sehr gehorsamen Untertanen und Diener Seine Majestät
     sein.
    Wenn etwas auf der Welt angetan war, Ludwig zu mißfallen, dann solch eine schwerfällige Rhetorik. Und seine Antwort – die
     ich, zurück in Brézolles, sofort aufs Papier warf – war schroff, knapp und offen. Als ich sie später meinem Vater vortrug,
     lachte er herzlich und sagte: »Das, mein Sohn, ist ganz der Vater! Was für eine hübsche Abfuhr! Der gute König Henri hätte
     es nicht besser gemacht!«
    Hier, Leser, Ludwigs Antwort:
    »Meine Herren, wolle Gott, daß Ihr aus ehrlichem Herzen sprecht und daß Eure Dankbarkeit nicht allein der Not gehorcht, |347| in der Ihr seid. Ihr habt alle Arten von Klügeleien und Bosheiten aufgeboten, um mir den schuldigen Gehorsam zu verweigern.
     Ich vergebe Euch Eure Rebellionen. Seid Ihr mir gute und treue Untertanen, dann bin ich Euch ein guter Fürst. Und wenn Ihr
     durch Eure Taten beweist, was Ihr verkündigt, dann halte auch ich, was ich Euch versprochen habe.«
    ***
    Am Dienstag, dem einunddreißigsten Oktober, stand ich bei Tagesanbruch auf, ebenso Sir Francis, Nicolas, Hörner und die Männer,
     die er ausgewählt hatte, meine Karosse zu eskortieren. Wir mußten in den frühen Morgenstunden die englischen Soldaten aus
     La Rochelle evakuieren, bevor das erste Kontingent der Unseren die Stadt besetzte. Weil die meisten der armen Engländer zu
     schwach zum Gehen waren, wurden sie auf Karren nach Chef de Baie gefahren und von dort mit Schaluppen auf die Schiffe der
     englischen Flotte gebracht. Und Sir Francis wollte nicht eher an Bord des Admiralsschiffes gehen, als bis auch die letzten
     eingeschifft waren. Bei der Gelegenheit zählte er sie: Es waren vierundsechzig. Sir Francis wollte unbedingt, daß ich ihn
     an Bord begleite. Als »Mylord Diouk d’Orbiou« stellte er mich Lord Lindsey vor, der mich zum Frühstück einlud. Kaum saßen
     wir bei Tisch, als er von Sir Francis hören wollte, was geschehen war, seit Buckingham ihn und seine Männer in La Rochelle
     zurückgelassen hatte.
    »Das war vor einem Jahr«, sagte Sir Francis mit dumpfer Stimme. »Nach den verhängnisvollen Ereignissen auf der Insel Ré schätzten
     meine Männer sich glücklich, nach La Rochelle zu kommen. Wir wurden aufs beste empfangen von den Einwohnern, die uns als ihre
     Retter ansahen. Und was für eine schöne und blühende Stadt war La Rochelle, sauber wie ein frischgeschlagener Taler, die Bewohner
     fröhlich und fleißig, viele Kinder überall auf den Straßen und Gassen und am Hafen, und ich weiß noch, wie ich morgens von
     den Rochelaiserinnen geweckt wurde, die in den Waschhäusern ihre Wäsche schlugen und dabei sangen. Jetzt, Mylord, hört Ihr
     niemanden mehr singen. Und Ihr seht auch keine Kinder mehr. Sie sind als erste gestorben. Und überall, in den verwaisten Häusern,
     auf Gassen und Plätzen, sieht man nur noch skelettdürre Leichen |348| liegen, und keiner hat mehr die Kraft, sie aufzuheben und auf dem Friedhof zu bestatten. Was meine Männer angeht, so waren
     es bei unserer Ankunft hier sechshundert, aber der langsame Hungertod hat sie dahingerafft, und leider ist vorauszusehen,
     daß für einige der vierundsechzig Überlebenden jede Nahrung zu spät kommt und daß sie ihre letzte Ruhe im Ozean finden werden.«
    Sobald ich es in aller Höflichkeit konnte, verließ ich Lord Lindsey und Sir Francis. Beim Abschied sprachen sie mir in schlichten,
     aber gerade in ihrer Schlichtheit bewegenden Worten ihren Dank aus. Mich drängte es, zu Ludwig zu kommen, der um neun Uhr
     am Fort Beaulieu den Aufmarsch des ersten Truppenverbandes abnehmen wollte, der in La Rochelle einziehen würde. Zuerst konnte
     ich ihn nicht erspähen, aber Marschall von Schomberg erblickte mich, kam mit

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