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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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hatten. Verbrecherisch
     im doppelten Sinn: gegenüber den Seinen wie gegenüber dem König.
    Ludwig hörte alle Reden an, ohne irgend zu zeigen, ob er eher diesem oder jenem Vorschlag zustimme, dann erteilte er das Wort
     dem Kardinal, und er wußte, was er tat, wenn er sich ihn sozusagen zum krönenden Abschluß aufsparte.
    Ich war mir ganz sicher, daß Richelieu aus politischen Gründen für die Begnadigung eintreten würde, denn eine »exempla rische Bestrafung« La Rochelles hätte in den anderen protestantischen Städten Frankreichs eine solche Empörung wecken können, daß
     die Rebellionen kein Ende mehr nehmen würden. Doch wußte er auch, daß diese politischen Gründe nur für jene Geltung hatten,
     die wie er in die Zukunft zu schauen vermochten, nicht aber für eine Versammlung, die wie jede Versammlung nur von den Leidenschaften
     des Augenblicks beherrscht war.
    Mit einer Gewandtheit, die ich als diabolisch bezeichnen würde, handelte es sich nicht um einen Kardinal, griff Richelieu
     alle Argumente für eine »exemplarische Bestrafung« auf und stellte sie mit mehr Kraft, Gewicht, Klarheit und Eleganz |345| dar als jene, die dafür eingetreten waren. Kürzer faßte er dann die Argumente, die für eine teilweise Ahndung sprachen. Und
     als er darauf die Begnadigung erörterte, schien er sie eine Weile mit den vorangehenden Vorschlägen in der Waage zu halten,
     doch redete er so lange über Vergebung, daß allein dieses Beharren schon offenbarte, welcher Seite er zuneigte. Er legte auch
     mehr Empfindung in seine Worte, wohl wissend, daß Vernunft nur dann überzeugt, wenn man das Gefühl gewinnt. Er wandte sich
     auch persönlicher als bisher an den König, sicherlich im Gedanken daran, wie sehr Ludwig von der Schilderung ergriffen gewesen
     war, die Sir Francis Kirby von den Verheerungen des Hungers unter den Rochelaisern und den englischen Soldaten gegeben hatte.
     Er appellierte zugleich an die Menschlichkeit und an die Sorge Seiner Majestät um den Ruhm.
    »Sire«, sagte er, »nie bot sich einem Fürsten vielleicht eine so herausragende Gelegenheit, sich durch seine Milde auszuzeichnen,
     eine Tugend, durch welche ein König sich Gott zu nähern vermag, denn seinem Bild wird er eher ähnlich, wenn er Gnade übt,
     als wenn er zerstört und ausrottet. Und je schuldiger La Rochelle sich gemacht hat, desto mehr wahre Großmut würde Seine Majestät
     beweisen, wenn er, nachdem er die Stadt durch seine unbesiegbaren Waffen überwunden und zur völligen Unterwerfung gezwungen
     hat, sich selbst überwinden und ihr vergeben würde. Denn vollbrächte er dies, so trüge der berühmte Name dieser Stadt seinen
     Ruhm in alle Welt und in kommende Zeitalter fort als den eines Fürsten, der sich ganz unvergleichlich darin zeigte, sowohl
     zu siegen als auch maßvoll zu sein im Sieg.«
    »Meine Herren«, sagte der König, indem er seinen Blick über die Versammlung schweifen ließ, »will jemand hierauf entgegnen,
     so erteile ich ihm das Wort.«
    Doch keiner derjenigen, die für die »exemplarische Bestrafung« gesprochen hatten, hob die Hand. Sie gaben ihr Spiel verloren.
     Denke aber nicht, Leser, Richelieu habe es schon gewonnen gehabt, denn auch wenn Ludwig eine menschliche Ader hatte, vergaß
     er ihm angetane Übel doch schwer, und weil ihm nicht die dreifache Nachsicht Henri Quatres, seines Vaters, eigen war, nahm
     er so manches Mal unerbittliche Rache. Der Appell an die Sorge um seinen Ruhm, um ihn gegenüber La |346| Rochelle zur Milde zu bewegen, war also durchaus nicht unnötig, und das wußte Richelieu. Er kannte seinen Herrn besser als
     alle anderen.
    Am siebenundzwanzigsten Oktober, einem Freitag, empfing der Kardinal im Schloß La Sauzaie die fünf Abgeordneten von La Rochelle
     und führte die Sache klar und entschlossen zu Ende: Die Rochelaiser sollten ihr Leben, ihre Glaubens- und Religionsfreiheit
     sowie ihren Besitz unangetastet behalten. Ihre Mauern jedoch sollten geschleift werden, und, was ihnen unendlich schmerzlicher
     war, La Rochelle sollte aufhören, eine freie Reichsstadt zu sein, in Zukunft hätten die Bürger die königliche Steuer zu zahlen.
     Da gab es großes Heulen, Ächzen und Zähneklappern, aber Richelieu blieb eisern.
    Fünf Abgeordnete waren es, am Nachmittag aber, bevor sie zum König gingen, erhielten sie, weiß Gott warum, Verstärkung durch
     sechs weitere Notabeln. Zuerst von Richelieu und einigen Ratsmitgliedern, darunter ich, empfangen, wurden sie

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