Kardinal vor La Rochelle
Ortschaft Coureille an der Südspitze der Bucht von La Rochelle. Weil ich
hier aber bereits die strategische Bedeutung dieses Ortes erwähnte, der uns, zusammen mit Chef de Baie im Norden, die beiden
Felsspitzen an der Bucht von La Rochelle sicherte, werde ich darauf erst wieder zurückkommen, wenn es um die Planung und den
Bau des berühmten Deiches gehen wird, der dann alle Welt in Erstaunen setzte.
»Mein lieber Domherr«, warf ich in diesem Moment von Fogacers Erzählung ein, »wenn Ludwig mit dem Herzog von Angoulême so
zufrieden war, warum schickte er dann noch seinen Bruder, den er so wenig liebt und schätzt, das Heer von La Rochelle zu befehligen?«
»Für diese Entscheidung«, sagte Fogacer, »gab es zwei Gründe, einen scheinbaren und einen verborgenen, aber beide |61| vom König und vom Kardinal klug erwogen. Der erste war, daß Monsieur, während es dem König noch so schlecht ging, eine Befehlsaufgabe
erhielt, wie er sie immer gefordert hatte, und sei es nur, um sich einiges Ansehen zu erwerben und Frankreich und die Welt
seine Dummheiten vergessen zu machen.
Dahinter jedoch verbarg sich ein Kalkül. Um dem König eins auszuwischen, hatte sich Monsieur ein Jahr zuvor mit den Rohans
verbünden und nach La Rochelle ziehen wollen. Indem man ihn jetzt an die Spitze des Heeres stellte, das La Rochelle belagerte,
machte man ihn natürlich zum Todfeind der hugenottischen Zitadelle.«
»Allewetter!« sagte ich, »das war schlau! Machiavelli hätte es nicht besser gemacht! Und wer hat dieses Jesuitenstückchen
ausgebrütet, der König oder der Kardinal?«
»Nicht unbedingt der, den Ihr meint. Ludwig ist durchaus fähig, derlei selbst auszuhecken. Erinnert Euch nur, wie perfide
er seine Feinde hereinzulegen pflegt.«
»Aber, um auf unser Heer vor La Rochelle zurückzukommen, der Herzog von Angoulême kann doch kaum glücklich gewesen sein, daß
er Monsieur unterstellt wurde.«
»Keine Bange. Alles war meisterlich vorbereitet. Monsieur erhielt den Titel, der Herzog von Angoulême behielt die Macht.«
»Und wie benahm sich Monsieur, der doch von Kriegführung nichts verstand?«
»Gut. Zu gut sogar. Kaum war er eingetroffen, machten die Rochelaiser einen Ausfall, und Monsieur warf sich ihnen tollkühn
in vorderster Reihe entgegen. Für einen Befehlshaber, sagte ihm der Herzog von Angoulême am nächsten Tag, habe er sich zu
sehr als Soldat benommen. Und die Offiziere, die ihn wegen seiner Angebereien nicht mochten, bezeichneten das Scharmützel
als ›Ulk von Monsieur‹, so als hätte es sich wieder um einen seiner kindischen Streiche gehandelt.«
»Ist das nicht ein bißchen ungerecht?« sagte ich. »Hätte sich Monsieur aus dem Kampf herausgehalten, hätte man ihn unfehlbar
als Memme beschimpft.«
»Ein interessanter Punkt«, sagte Fogacer, »den wir leider nicht mehr erörtern können. Wir sind angelangt. Dort seht Ihr das
Haus des Kardinals, und bestens bewacht. Wie versprochen, Graf, mache ich mich davon.«
|62| Und ohne daß ich ihm nochmals für seine Führung und Unterrichtung in so kurzer Zeit danken konnte, machte er kehrt und entfernte
sich im Trab.
***
Nachträglich stellte ich fest, daß Fogacer mich unnötige Umwege geführt hatte, denn Pont de Pierre lag gar nicht weit von
Aytré, wo der König wohnte, übrigens auch nicht sehr weit von Saint-Jean-des-Sables, wo ich einquartiert war.
Eine ganze Kompanie Musketiere 1 umlagerte das Haus von Richelieu, das sehr schön und sehr groß, aber nicht befestigt war. Nach knapp zehn Schritten wurde ich von einem Gefreiten
angehalten, der meinen und meines Junkers Passierschein sehen wollte. Doch hatte ich kaum in meinen Wamsärmel gegriffen, um
ihn zufriedenzustellen, als der Gefreite die Augen aufriß.
»Ach, Herr Graf von Orbieu«, rief er, »ich bitte tausendmal um Vergebung! Ich hatte Euch nicht erkannt.«
»Aber ich habe Euch gleich erkannt, Monsieur de Lamont!«
»Wirklich, Herr Graf?« sagte Lamont, indem er freudig errötete. »Ihr entsinnt Euch meiner, und sogar meines Namens?«
»Ebenso wie Ihr Euch hoffentlich meines Rubinrings entsinnt.«
»Der ist diesmal nicht vonnöten, Herr Graf«, sagte Lamont lächelnd. »Der Herr Kardinal erwartet Euch. Trotzdem, Herr Graf,
würde ich gern einen Blick auf Euren Passierschein werfen.«
»Liebe Güte, Lamont! Habt Ihr noch Zweifel an meiner Person?«
»Nicht den geringsten. Aber der Herr Graf wird verstehen, daß Befehl eben Befehl ist.«
Ich
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