Kardinal vor La Rochelle
hütete mich, ihm diese militärische Strenge zu verargen, und reichte ihm unsere Passierscheine. Nach einem kurzen Blick
darauf, der seinem Gewissen offenbar genügte, gab er sie mir freundlich lächelnd zurück.
»In diesem schönen Haus also wohnt der Herr Kardinal!« sagte ich, während ich die Passierscheine im Ärmel meines |63| Wamses verstaute. »Da hat er aber einen prächtigen Blick aufs Meer!«
»Ja, es ist das Haus von Jean Berne, einem ehemaligen Bürgermeister von La Rochelle, der es dem Herrn Kardinal zur Verfügung
gestellt hat. Aber daß der Herr Kardinal den Blick aufs Meer genießt, davon kann nicht die Rede sein. Von früh bis spät ist
er bei der Arbeit, oft sogar bis tief in die Nacht.«
Als ich das Haus des einstigen Bürgermeisters betrat, kam mir Charpentier entgegen, der mich nach allen protokollarischen
Regeln begrüßte, obwohl ich ihn bat, darauf zu verzichten, denn in dem gefährlichen Hinterhalt von Fleury en Bière hatte er
tapfer an meiner Seite gekämpft. 1
»Herr Graf«, sagte er, »diesmal könnt Ihr Euren Ring am Finger behalten. Der Herr Kardinal empfängt Euch in wenigen Minuten.«
»Wie geht es ihm?« fragte ich leise.
»Sehr gut, seit er am Meer lebt. Er leidet viel weniger unter Kopfschmerzen als in unserem stinkenden Paris. Außerdem steigt
er fast täglich zu Pferde, und sei es nur, um den König aufzusuchen, und die körperliche Übung tut ihm überaus wohl.«
»Und seine Stimmung?«
»Bestens.«
»Bestens?«
»Gewisse Abwesenheiten bekommen ihm hier ganz vortrefflich«, sagte Charpentier mit einem Lächeln.
Wie hätte ich nicht verstehen sollen, wer damit gemeint war: die Königinmutter, die Königin, der Zirkel der diabolischen Reifröcke
und Monsieur.
Monsieur, der sich nach der Ankunft seines Bruders etwas überflüssig fühlte und mit seinen ausgelassenen Freunden nach Paris
zurückgekehrt war. Anstatt aber seine Wohnung im Louvre zu beziehen – den Augen und Ohren seiner Mutter für seinen Geschmack
zu nahe –, hatte er sich in einem Hôtel einquartiert und vergnügte sich mit unzähligen Torheiten. Pater Joseph, der ihn in
Paris ausspionierte, schrieb dem Kardinal: »Der junge Scholar (so nannten sie Gaston untereinander) treibt es immer schlimmer.
Betet inständig für seine Umkehr.«
|64| Als ich eintrat, warf mir Richelieu einen freundlichen Blick zu und bedeutete mir durch ein Handzeichen, daß er mich gleich
empfangen würde, sobald er den Brief, den er einem seiner Sekretäre diktierte, beendet hätte.
Bei seinem Diktat ging er auf und ab, den Kopf erhoben, die Hände auf dem Rücken und tatsächlich ohne jeden Blick nach den
Fenstern, die eine herrliche Aussicht auf den Ozean boten. Fogacer hatte mich darauf vorbereitet, und so verwunderte mich
seine Kleidung nicht. Er trug Kniehosen, hohe Stiefel und ein schwarzes Wams, das einzig ein goldenes Kreuz auf der Brust
zierte. Nur dieses Kreuz und die kleine Purpurkalotte auf seinem Hinterhaupt ließen erkennen, mit wem man es zu tun hatte.
Wie stets erstrahlte der Kardinal von Kopf bis Fuß in makelloser Reinheit: Säuberlich rasiert waren die Konturen seines feinen
Schnurrbarts und seines kurzen Spitzbarts, die zurückgekämmten Haare wurden von der Kalotte gehalten, und nicht ein Härchen
stand hervor, die blassen Hände waren manikürt und der aufgestellte große Kragen von blendendem Weiß. Kein Fleck war an ihm,
kein Stäubchen, auch an seinen hohen schwarzen Stiefeln nicht eine Spur. Bestimmt, dachte ich, läßt er sie zwei-, dreimal
am Tage putzen, denn wer im Heerlager auch nur den Fuß zu Boden setzte, konnte dem Schlamm nicht entrinnen. Die Feinde des
Kardinals, die einen Haß gegen ihn hegten, von dem man sich keine Vorstellung macht (und der sie bis zu Mordkomplotten trieb),
bespöttelten seine Reinlichkeit, die ihnen zu weltlich erschien und unvereinbar mit seiner geistlichen Berufung. Was würden
sie wohl sagen, dachte ich, wenn der Kardinal ein Schmutzfink wäre?
Mir entging nicht, daß der Kardinal sich in seinen Stiefeln und Kniehosen glücklicher ausnahm als in der majestätischen purpurnen
Soutane, die sein Stand befahl. Der Grund dafür war vermutlich, daß er ziemlich stolz auf seinen Adel war und die geistliche
Laufbahn nur gezwungenermaßen eingeschlagen hatte, weil sein Bruder, dem sie bestimmt war, sich ihr verweigert hatte, sein
Vater der Familie aber ein Amt erhalten wollte, das diese seit Franz I. dank königlicher
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