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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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außer wenn sie einen Nahestehenden oder einen Freund trifft – wird
     mit scheinbarem Bedauern und heimlicher Genugtuung vermerkt.
    Endlich war ich der Menge, die dem Lever des Königs beiwohnte, entronnen, da wurde ich beim rechten Arm gefaßt, und als ich
     mich umwandte, erblickte ich den Domherrn Fogacer, der mich von seiner Höhe herab unter seinen geschwungenen weißen Brauen
     hervor freundlich anlächelte. Für einen Domherrn war er sehr merkwürdig gekleidet, in Kniehosen und hohe schwarze Stiefel.
    »Mein Freund!« sagte ich, »was macht Ihr denn hier? Und wie seht Ihr aus? Habt Ihr dem geistlichen Stand etwa den Rücken gekehrt?«
    »Ich bin hier«, sagte Fogacer mit jenem langen, gewundenen Lächeln, das mein Vater in seinen Memoiren so trefflich beschrieben
     hat, »weil der apostolische Nuntius hier ist, wie übrigens fast alle Gesandten ausländischer Reiche, um die Belagerung zu
     beobachten.«
    »Nanu!« sagte ich, »nennt Ihr den Vatikan ein ausländisches Reich?«
    |57| »Sicher nicht, der Papst ist unser aller Vater, und die Katholiken, seine Kinder, werden ihn nicht als Ausländer betrachten.
     Doch wenn der Vatikan auch kein Ausland ist, ist er nichtsdestoweniger ein anderer Staat als der unsere.«
    »Welch feiner Unterschied!«
    »Jedenfalls erklärt er, daß der Nuntius hier ist, und ich mit ihm.«
    »Hochwürden, wie gut Ihr immer alles erklärt! Gibt es auch eine Erklärung für diese wundervollen Stiefel, die Euch bis übers
     Knie reichen?«
    »Das Gebiet um La Rochelle ist ein einziger Sumpf, also stellt sich einem die Frage, ob man durch den Morast lieber mit Stiefeln
     watet oder ohne. Im übrigen«, setzte er gedämpft hinzu, »da Ihr ja auf dem Weg zu einer gewissen Purpurrobe seid, werdet Ihr
     diese genauso ausstaffiert finden wie mich.«
    »Mein Freund, woher wißt Ihr, daß ich mich dorthin begebe?«
    »Soweit ich weiß, hat Euch Ludwig mit einer Mission betraut, die Purpurrobe soll Euch in die Details einweihen.«
    »Wißt Ihr auch, wo besagte Robe zu finden ist?«
    »Sicher. In Pont de Pierre.«
    »Wo, zum Teufel, ist das?«
    »Soll ich Euch hinbringen? Oh, Graf! Wieso auf einmal so reserviert! Keine Sorge, ich zeige Euch das Quartier nur von weitem.
     Der Nuntius würde verärgert und mißtrauisch werden, wenn man mich im näheren Umkreis jenes Herrn sähe.«
    »Dann nehme ich Euer Angebot gern an. Aber ich habe keine Karosse. Seid Ihr zu Pferde?«
    »Gezwungenermaßen, so wenig das einem Domherrn auch geziemen mag.«
    »Und wo ist Euer Pferd?«
    »Na, bei Eurem Junker, ich übergab es ihm, ehe ich hier eintrat. Beiläufig bemerkt, ist Euer Nicolas hübsch genug, um einen
     Heiligen in Verdammnis zu stürzen, oder besser gesagt, eine Heilige. Euer Glück, Graf, daß Ihr
urbi et orbi
als glühender Verehrer der Weiblichkeit bekannt seid, sonst entgingt Ihr bei Ansicht Eures Nicolas schwerlich einem gewissen
     Verdacht.«
    »Mein teurer Domherr, Eure Reden scheinen mir ein gewisses Bedauern hinsichtlich Eures früheren Lebens zu verraten.«
    |58| »Ach!« sagte Fogacer mit seinem langen, gewundenen Lächeln, »das Wort ›bedauern‹ kann zweierlei bedeuten. Entweder man bedauert
     seine Jugendsünden, oder man bedauert, daß die Zeit vorbei ist, in der man sie beging.«
    »Und welcher Bedeutung gebt Ihr den Vorzug?«
    »Graf, zurück zu unseren Hammeln, wenn’s beliebt: Wollt Ihr, daß ich Euch führe?«
    »Mit Vergnügen.«
    »Und um Euch noch mehr zu vergnügen, erzähle ich Euch unterwegs, was ich über den Herzog von Angoulême weiß, mit dem Ihr es
     bei Eurer Mission auf jeden Fall zu tun bekommt.«
    ***
    Der Weg von Aytré nach Pont de Pierre war ebenso lang wie Fogacers Erzählung über den Herzog von Angoulême, über den er tatsächlich
     mehr wußte als ich. Um aber dem Leser seine Abschweifungen zu ersparen, fasse ich die Geschichte hier zusammen.
    Alles an dem Herzog war außergewöhnlich, seine Geburt wie sein Schicksal. Sein Vater war Karl IX., der Urheber oder einer
     der Urheber der Bartholomäusnacht, seine illegitime Mutter war die sanfte Marie Touchet, eine nicht bekehrte Hugenottin. Nach
     dem frühen Hinscheiden Karls IX. – es heißt, ihn habe die Reue zerstört, so viele Menschen hingeschlachtet zu haben, aber
     das glaube ich nicht, denn er besaß nicht das Herz und die Vorstellungskraft, sich wegen dieses Blutvergießens aufzuzehren
     –, nach seines Vaters Tod also wurde der schöne Bastard von seinem Onkel, König Heinrich III., gehätschelt und

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