Kardinal vor La Rochelle
dem Marschall zum zweitenmal recht gab, dies nur tat, um ihm anschließend nachzuweisen,
daß er im vorliegenden Fall unrecht hatte. Und wirklich gelang es der feinfühligen Gewandtheit meines Vaters, Schomberg zu
überzeugen.
»Tatsächlich!« sagte er, »das läßt sich nicht bestreiten.«
Doch auf einmal sah er mich mißtrauisch an.
»Graf«, sagte er, »habt Ihr dieses Arrangement schon dem Herzog von Angoulême vorgeschlagen?«
»Keineswegs«, sagte ich. »Ihr seid der erste. Wenn Ihr es gutheißt, trage ich es dem König vor, und wenn er es billigt, übermittle
ich seine Befehle dem Herzog von Angoulême.«
***
|74| Der König stimmte unserer Vereinbarung sofort zu, doch ohne Richelieu davon zu unterrichten. Seine Majestät leistete sich
hier und da das Vergnügen, ihm geringfügigere Entscheidungen vorzuenthalten, wichtige allerdings nie. Diese Geheimniskrämerei
brachte mich in eine heikle Lage gegenüber dem Kardinal, schließlich hatte er mir den Auftrag im einzelnen erläutert. Und
so raunte ich das Ergebnis noch am selben Tag Charpentier ins Ohr, der es Richelieu weitersagte, und als der König am folgenden
Tag darauf zu sprechen kam, tat der Kardinal, als wisse er von nichts.
Ich konnte über diese kleinen Tücken nur schmunzeln. Sie erinnerten mich daran, wie alte Paare, obwohl in ungebrochener Treue
verbunden, sich hin und wieder den Spaß machen, vor dem anderen ihre kleinen Geheimnisse zu haben.
Nachdem der König mich entlassen hatte, galt es also, dem Herzog von Angoulême natürlich nicht seine »Befehle« zu übermitteln,
sondern seine Bitte zu unterbreiten.
Vielleicht sollte ich Sie hier daran erinnern, schöne Leserin, daß der Herzog, der beim Tod seines Vaters, Karls IX., erst
ein Jahr alt gewesen war, mit großer Sorgfalt und Liebe von seinem Onkel, Heinrich III., erzogen wurde und dessen Liebe hundertfach
erwiderte. Und als das Messer des Mönchs Clément Heinrich auf den Tod verwundete, litt der sechzehnjährige Großprior, wie
Angoulême damals genannt wurde, unendlichen Schmerz und stürzte, als der König verschied, längelang wie leblos zu Boden. Mein
Vater trug ihn mit Hilfe von Bellegarde zu seinem Lager und hatte große Mühe, ihn aus seiner tiefen Ohnmacht zu erwecken.
Dem Leben endlich wiedergegeben, entsann sich der Jüngling auch seines Schmerzes und seiner Verzweiflung wieder. Er habe nicht
nur den besten Vater verloren, klagte er, sondern auch seinen einzigen Beschützer am Hof, so daß er nicht aus noch ein wisse.
Mein Vater stand ihm damals mit seiner Fürsorge und seinem Trost zur Seite, pries ihm den König von Navarra, den der sterbende
Heinrich III. ja als seinen Nachfolger anerkannt hatte, und riet dem jungen Mann, sich diesem anzuschließen, auch wenn so
viele hohe Herren, Epernon an der Spitze, den feierlichen Eid brachen, den sie dem sterbenden Herrscher soeben geleistet hatten,
und den König von Navarra mit ihren Truppen schamlos im Stich ließen, so daß diesem nur das Skelett eines Heeres verblieb.
|75| Der Großprior befolgte den Rat meines Vaters, unterwarf sich Henri Quatre und kämpfte an seiner Seite. Danach verlief seine
Geschichte, wie bereits gesagt, weniger glücklich, denn der Graf von Auvergne – zu dem Henri Quatre den Großprior ernannt
hatte – hatte zwölf öde Jahre in der Bastille zu verbüßen, bevor er wieder mit einem Degen zur Seite im Sattel saß und sich
den Wind ins Gesicht wehen ließ.
Als wir das Quartier des Herzogs von Angoulême betraten, sahen wir ihn zunächst nur von ferne, wie er im Kreis seiner Offiziere
stand und mit ihnen sprach, aber nicht im Befehlston, sondern vielmehr, als erteile er freundschaftliche Ratschläge.
Der Herzog war mittelgroß und sehr wohlgestalt. Sein Antlitz glich, Gott sei Dank, nicht dem harten und starrsinnigen seines
Vaters Karl IX., vielmehr ähnelte es dem seiner Mutter, der rührenden, sanftmütigen Marie Touchet, die man nur anzusehen brauchte,
um ihr gut zu sein, so sehr schien sie erfüllt von Menschenliebe.
Indes paarte sich dieser gutmütige Ausdruck bei Angoulême durchaus mit Entschlossenheit, und so leutselig er jedermann auch
begegnete, lag doch in seinen Augen ein gewisser Dünkel, der anzeigte, daß er um seinen Rang wußte und nicht der Mann war,
sich dreinreden zu lassen.
Was mich aber am meisten erstaunte, das war die Jugendlichkeit, die der über fünfzigjährige Prinz ausstrahlte. »Man möchte
fast meinen«,
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