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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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weniger als vierzig Edelleute. Als Heinrich III.
     mit Biron am Saal des Gelages vorüberkam, sagte er lachend: »Da seht Ihr, Herr Marschall, wie der Großprior mein Hab und Gut
     verfrißt!«
    Angoulême stand im Begriff, zur Parade der Truppen von Coureille aufzubrechen, wollte uns aber nicht verlassen, ohne uns mit
     einer Flasche Burgunder zu erquicken.
    Er selbst trank nacheinander zwei Becher, doch sein Gemüt erheiterte sich nicht, wie es das lateinische Sprichwort behauptet,
     es verdüsterte sich. Als mein Vater sagte, daß er nicht lange bleiben, sondern in Kürze nach Nantes weiterreisen würde, um
     seine anderen beiden Söhne, Pierre und Olivier, zu besuchen, die dort Reeder und Handelskapitäne waren, seufzte er.
    »Ach, mein lieber Siorac«, sagte er, »wenn Ihr wüßtet, wie gern ich an Eurer Stelle wäre! Ihr glaubt gar nicht, wie ich diese
     Belagerung leid bin. Es ist wahrlich kein Vergnügen bei |78| dem ewigen Regen, den Stürmen und eisigen Winden an dieser unwirtlichen Küste hier. Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein
     langweiligeres Leben geführt zu haben!«
    Mein Vater sah, wie La Suries Lippen sich verzogen, und wollte einer kleinen Impertinenz aus seinem Munde vorbeugen.
    »Langweilig, Monseigneur!« sagte er darum. »Und die Bastille?«
    »Oh, im Vergleich zu dem hier war die Bastille ein Paradies! Ich hatte eine ziemlich große Zelle, meine eigenen Möbel, ein
     Himmelbett, einen Kamin, einen Diener, der alles instand hielt, und einen Koch für mich allein. Und wenn mein Fenster auch
     vergittert war, konnte ich doch den Kopf hinausstecken und das ganze schöne Paris überschauen, vom Saint-Jacques-Tor bis zum
     Tor Saint-Martin, und mittendrin die Seine mit ihren Inseln, mit Notre-Dame de Paris, dann, weiter weg, die Türme des Louvre
     und am anderen Ufer der hohe Turm des Hôtel de Nesle, und wenn ich mich ein wenig vorbeugte, sah ich zu meinen Füßen das Pariser
     Volk wimmeln wie geschäftige Ameisen.«
    »Aber es muß Euch doch an Beschäftigungen gemangelt haben?« sagte ich.
    »Überhaupt nicht! Ich hatte Bücher und las. Mit dem Gefreiten und den Wachen würfelte ich und spielte Karten. Ich focht mit
     dem Waffenmeister des Gouverneurs, der mich oft zu Tisch lud und dazu seine Musikanten aufspielen ließ. Ich ging auf den Wällen
     spazieren, und – das sei nicht vergessen – ich erhielt Besuche.«
    »Waren denn Besuche erlaubt?« fragte ich verwundert.
    »Ja, aber nur in meiner Zelle und nur weibliche. Man befürchtete, daß Edelmänner mich zu erneuten Kabalen verleiten könnten.«
    »Hattet Ihr viele Besucherinnen?«
    »Ich hätte jeden Tag eine empfangen können, wenn ich gewollt hätte: Das weibliche Geschlecht ist äußerst mitfühlend! Ich sehe,
     Ihr lächelt, mein Freund. Nein, nein, Ihr täuscht Euch, die meisten dieser Besuche waren ganz unschuldig, reine Mildtätigkeit.
     Man brachte mir Süßigkeiten, Marzipan, Honig, sogar Spielzeug, weil man anscheinend meinte, ich sei wieder zum Kind geworden.
     Nur einige wenige überschritten, wie es der heilige Augustinus so hübsch ausdrückt, »die leuchtende Schwelle der Freundschaft«.
     Aber sollte ich, der ich ihrer Hingabe |79| so viel Glück verdankte, sie dafür verdammen? Im Gegenteil. Wäre ich nicht ihr Liebhaber, sondern ihr Beichtiger gewesen,
     hätte ich ihnen, glaube ich, die größte Milde bezeigt. Was gibt es Romantischeres als eine Zelle in diesem hohen Adlerhorst,
     einen halben Klafter dicke Mauern, vergitterte Fenster, eine schwere Eichentür, eisengepanzert, mit riesigen Schlössern, und
     dann dieses während der Besuchszeit so höflich geschlossene Guckloch? Wie sollte eine Besucherin sich nicht wunderbar sicher
     fühlen an einem so abgeschlossenen und unerreichbaren Ort, geschützt vor dem grimmigen Gattenblick oder perfidem Hofklatsch?«
    »Trotzdem mußten die Damen«, sagte mein Vater, »die Bastille ja einmal verlassen. War das nicht gefährlich?«
    »Ach, bewahre. Sie gingen so anonym, wie sie gekommen waren. Dafür bürgten Mietkutsche und Maske.«
    Und der Herzog von Angoulême schwieg heiter versonnen.
    »Monseigneur«, sagte mein Vater lächelnd, »wenn man Euch so hört, scheint Ihr Eurer Jahre in der Bastille nicht ohne Vergnügen
     zu gedenken?«
    »Das macht die Zeit«, sagte Angoulême und seufzte. »Lang waren die Jahre, als ich sie erlebte, kurz sind sie, wenn ich dran
     denke, weil ich nur das Beste davon bewahre. Aber das Geheimnis meiner Erinnerung ist: Ich war jung! Um

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