Kardinal vor La Rochelle
sagte La Surie auf dem Rückweg, »daß ihn die Jahre in der Bastille so jung erhalten haben! Liebe Zeit, außer
dem bißchen Grau an den Schläfen und ein paar Fältchen um die Augen verrät nichts sein Alter!«
Angoulême war mit dem Marquis de Siorac damals in Saint-Cloud, während der Feldzüge Henri Quatres, und dann in Paris, bevor
er gefangengesetzt wurde, gut vertraut gewesen. Als dieser seinen Kerker jedoch endlich verließ, lebte mein Vater längst vom
Hof zurückgezogen in seinem Stadthaus in der Rue du Champ Fleuri oder auf seinem Gut Chêne Rogneux in Montfort l’Amaury. Als
Angoulême ihn nach so langen Jahren nun erblickte, schrie er auf vor Freude, schloß ihn wortlos in die Arme und netzte seine
Wangen mit Tränen. Bei dieser Szene erstarrten die etwa zehn anwesenden Edelleute vor Staunen, zumal keiner unter ihnen so
alt war, daß er meinen Vater hätte erkennen können.
|76| »Ach, Siorac!« sagte Angoulême schließlich, »welche glücklichen und unglücklichen Erinnerungen Ihr in mir weckt! Aber wie
dankbar bin ich Euch bis heute für alles, was Ihr in Saint-Cloud für mich getan habt!«
Saint-Cloud zu berufen hieß leider auch, der Ermordung Heinrichs III. durch den ruchlosen Clément zu gedenken, was wiederum
meinen Vater so tief bewegte, daß ihm die Augen übergingen. Denn sosehr er Henri Quatre geschätzt, geliebt und bewundert hatte,
war er seinem Vorgänger doch unendlich viel inniger verbunden gewesen, wie es das liebevolle Porträt dieses von der Nachwelt
so schimpflich abgetanen Königs in seinen Memoiren beweist.
Doch muß es Angoulême wohl peinlich gewesen sein, daß er sich vor seinen Offizieren zu Tränen hinreißen ließ, denn er schickte
sie mit knappen, wenngleich freundlichen Worten hinaus, worauf er sich mir zuwandte, der ich ihn ehrerbietig grüßte.
»Und das ist ohne Zweifel der Graf von Orbieu!« sagte er. »Ein frappierendes Ebenbild seines Vaters, nur zu selten am Hof
zu sehen, weil er immer unterwegs ist im Dienst des Königs, um Kabalen aufzudecken oder Freundschaften zu retten. Nun, Graf«,
fuhr er fort, nachdem er dem Chevalier de La Surie ein Kopfnicken und ein Lächeln geschenkt hatte, »was führt Euch zu mir,
was für eine Botschaft bringt Ihr mir und von wem?«
»Natürlich vom König, Monseigneur, und die Botschaft ist eine Bitte.«
»Oh, eine Bitte!« rief Angoulême lächelnd aus. »Fest steht ja wohl, daß man dem König eine Bitte schwerlich abschlagen kann,
und also kommen seine ›Bitten‹ doch immer Befehlen gleich.«
»Trotzdem«, sagte ich, »ist ein königlicher Befehl an einen Prinzen von Geblüt der Anpassung zugänglich.«
»Und Ihr, Graf, seid hier, um diese Anpassung vorzunehmen? Alsdann, laßt hören«, sagte Angoulême gutmütig. »Ihr findet in
mir einen bereitwilligen Gesprächspartner, sofern mir das Entscheidende unangetastet bleibt.«
Ich trug ihm vor, wie der abwechselnde Befehl zwischen Schomberg und ihm geregelt werden solle, ohne allerdings zu erwähnen,
daß diese Machtteilung meine Idee gewesen war und daß der König sie nur nachträglich gebilligt hatte.
Eine Weile sann Angoulême still, dann hob er den Kopf.
|77| »Warum nicht?« sagte er. »Da es sich um eine Belagerung handelt, kann die Sache keinen großen Schaden anrichten. Und mit Schomberg
läßt sich auskommen. Er ist ein guter Soldat. Zwar sind seine Manieren ein bißchen schroff, aber nicht unerträglich. Offen
ist nur das Entscheidende.«
»Und was ist das, Monseigneur?«
»Behalte ich meinen Titel als Oberbefehlshaber der Truppen?«
»Der König hat sich dazu nicht ausdrücklich erklärt, aber ich halte es für selbstverständlich.«
»Mir wäre es lieber, wenn Seine Majestät sich gnädigst erklären wollte.«
»Ich werde Seine Majestät bitten, sich hierüber auszusprechen.«
»Wenn das in dem von mir erhofften Sinn geschieht, möchte ich, daß mir auch die entsprechenden Bezüge verbleiben.«
»Auch das, Monseigneur, erscheint mir berechtigt, ich werde den König auch hierzu um Präzisierung bitten.«
Im stillen sagte ich mir, daß der Herzog für einen »bereit willigen Partner« seine Interessen doch sehr genau im Auge hatte. In seinen grünen Jahren durch die außerordentliche Großzügigkeit
Heinrichs III. verwöhnt, war er der größte Verschwender der Schöpfung geworden. Wie mir mein Vater erzählte, gab der Großprior
in Saint-Cloud, am Tag vor der Ermordung seines Onkels, ein Souper für nicht
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