Kardinal vor La Rochelle
die Dreißig damals.«
Hier schüttelte sich der Herzog, als erwache er aus einem Traum, warf einen Blick auf seine Uhr, die er aus dem Wamsärmel
zog, und sprang auf.
»Liebe Freunde, vergebt, ich muß Euch schleunigst verlassen. Die Truppen erwarten mich. Das fehlte noch, daß Herr von Schomberg
mich der Unpünktlichkeit zeihen könnte. Adieu, meine Freunde! Wenn es Euch beliebt, sähe ich Euch gern bald bei mir zu Tisch.«
Als wir den langen, verschlammten Weg durch das unglaubliche Gewimmel des Feldlagers zurück nach Aytré ritten, um den König
aufzusuchen, trieb La Surie sein Pferd an meine Seite.
»Herr Graf«, sagte er, »fast möchte ich mir wünschen, eines Tages selbst in der Bastille zu landen.«
»Chevalier«, sagte ich lachend, »in der Bastille hält man nur das Kostbarste verschlossen: das Gold des Reiches und hohe Persönlichkeiten.
Wir beide wären dort nicht zugelassen, aber |80| das brauchst du nicht zu bedauern, Miroul. Daß der galante Henri Quatre seinen Gefangenen Damenbesuche erlaubte, heißt nicht,
daß es unter Ludwig XIII. und Richelieu genauso ist: Für Schwächen, die sie nicht haben, kennen sie kein Erbarmen.«
***
Ludwig ließ Angoulême umgehend durch einen königlichen Kurier bestätigen, daß er seinen Titel als Oberbefehlshaber der Truppen
ebenso behalte wie die damit verbundenen Bezüge, und so stand in Coureille, am südlichen Kliff der Bucht, denn alles zum besten.
Blieb das Problem im Norden, in Chef de Baie, wo Bassompierre befehligte, und Bassompierre war aus sehr anderem Holz geschnitzt
als der Herzog.
Ich war zwölf, als ich zum erstenmal von Bassompierre hörte, aber nicht durch meinen Vater, sondern durch eine Soubrette,
die ihm gedient hatte, bevor sie in meine Dienste trat. Der Leser wird sich entsinnen, daß sie Toinon hieß und daß sie mich
ins Paradies der Liebe einführte, und immer, wenn ihr hübsches, offenes Gesicht in meiner Erinnerung auftaucht, schneidet
es mir wieder ins Herz.
Wie ich nun Toinon einmal fragte, ob sie das elegante Haus Bassompierres nicht vermisse, sagte sie nein, denn dort, wo immer
Spiel und Lachen geherrscht hätten, sei man so wenig zum Schlafen gekommen, daß sie oft todmüde gewesen sei, und sie sei nun
einmal eine Schlafmütze.
»Trotzdem«, fügte sie hinzu, »Monsieur de Bassompierre und seine Freunde (unter denen sie – welch Zufall! – auch den Grafen
von Auvergne 1 nannte) sind wirklich sehr liebenswürdig und dazu so schön und wohlerzogen, darüber geht’s nicht.«
Ich wiederholte meinem Vater ihre Worte, und er lachte herzlich über den Ausdruck »darüber geht’s nicht«. Dann setzte er,
um den Eindruck zu korrigieren, den Toinon mir von Bassompierre gegeben hatte, hinzu: »Hütet Euch, mein Sohn, dem Anschein
zu glauben. Bassompierre ist in der Tat ein großer Galan, aber er ist auch der höchstgebildete Edelmann am Hof. Er kann Griechisch
und Latein, er spricht vier Fremdsprachen. Seine Bibliothek ist eine der bestbestellten in Frankreich. |81| Und Ihr dürft versichert sein, daß die Bücher nicht nur zum Vorzeigen da sind. Er hat sie gelesen. Kurzum, er kennt sich auf
allen Gebieten aus und hat eine so rasche Auffassungsgabe, daß er, mit ein wenig Studium, in jedem Bereich glänzen könnte,
den der König ihm anvertrauen würde.«
»Toinon hat gesagt, er sei Deutscher«, fuhr ich fort.
»Ein halber«, sagte mein Vater. »Seine Mutter ist Französin, die Nichte des Marschalls von Brissac. Sein Vater, der aus Lothringen
stammte, hieß Betstein, und als er nach dessen Tod Henri Quatre vorgestellt und als Franzose anerkannt wurde, übersetzte er
seinen Namen Betstein in Bassompierre.«
Mein Vater hatte sich über die brillante Zukunft, die Bassompierre erwartete, nicht getäuscht. Im Lauf der folgenden Jahre
konnten wir seinen fabelhaften Aufstieg beobachten. Als vollendeter Hofmann, der, nach seinen eigenen Worten, »des jeweiligen
Pfarrers gehorsames Pfarrkind« war, diente er unseren wechselnden Herrschern mit derselben Geschmeidigkeit und Treue: Henri
Quatre, Maria von Medici und Ludwig. Und er diente ihnen vortrefflich, führte seine Feldzüge ebenso erfolgreich wie mehrere
heikle diplomatische Missionen in Spanien, in der Schweiz und in England.
Seine Talente und Dienste wurden belohnt. Im Jahr 1622 ernannte Ludwig ihn zum Marschall von Frankreich, und da endlich konnte
Bassompierre die Dame heiraten, die er am französischen Hof am meisten
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