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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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haben?«
    »Charpentier, laßt mich nicht rätseln! Frisch, nennt ihn mir!«
    »Descartes.«
    »Descartes? Wer ist Descartes?«
    »Glaubt man denen, die ihn sprechen hörten, ist er der neue Aristoteles.«
    »Und was hat er geschrieben, das diesen wunderbaren Titel rechtfertigt?«
    »Veröffentlicht hat er noch nichts.«
    »Das ist mir ja ganz was Neues«, rief ich lachend, »daß der Ruhm vor dem Werke kommt! Und was macht dieser Descartes hier?
     Ist er Soldat?«
    »Ja, aber Soldat ohne Grad, ohne Regiment, ohne Sold und Stellung. Er lebt in einem kleinen Bauernhaus mit einem großen Ofen
     und einer kleinen Magd, die ihn darüber hinaus erwärmt.«
    »Recht so! Der scheint mir ein Philosoph mit gesundem Menschenverstand! Und was macht er, abgesehen von Ofen und Magd?«
    »Er denkt. Er treibt sich im Lager umher, betrachtet die Gräben, Forts und Schanzen und interessiert sich für den Deich, der
     zwischen Coureille und Chef de Baie errichtet werden soll, um die Bucht zu sperren, damit die Engländer La Rochelle nicht
     mehr von der See aus versorgen können.«
    »Ist Euer Descartes denn so etwas wie ein Ingenieur?«
    »Nein, das nicht, aber er ist in der Mathematik hochgelehrt. Er sagt, er suche nach Regeln, den menschlichen Geist zu lenken
     und zu leiten.«
    »Oho!« sagte ich, »ein solches Bestreben riecht nach Hölle!«
    »Nach Hölle, Herr Graf?«
    |97| »Daß die Mathematik ihre eigenen Regeln hat, nun gut! Aber in allen anderen irdischen Wissenschaften beansprucht unsere heilige
     Kirche die Führung. Ich wiederhole, Euer Descartes riecht nach Schwefel.«
    »Nein, nein, Herr Graf. Es heißt sogar, er habe allein kraft seines Denkens einen neuen Gottesbeweis gefunden.«
    »Noch schlimmer! Unsere Ultraorthodoxen sind gefährliche Leute, sie werden schreien, daß die Existenz Gottes durch die Offenbarung
     erwiesen und daß es Anmaßung sei, uns mit unserem armen Menschenverstand daran zu wagen.«
    Hierauf konnte Charpentier nicht mehr antworten, weil Monsieur de Lamont ins Vorzimmer trat und meldete, daß Seine Eminenz
     mich in dem kleinen blauen Kabinett erwarte, wo wir bereits unsere erste Unterredung hatten.
    Der Kardinal saß in einem Lehnstuhl, den Kopf an ein Kissen gelehnt, und die Art, in der er bei meinem Eintreten nach einigem
     Zwinkern die Augen öffnete, verriet, daß er sich ein paar Minuten Schlaf gegönnt hatte. Er war nicht allein. Auf seinem Schoß
     schlief eine Katze.
    Die Katze, weiß wie der Mantel der Karmeliter, schien wie diese dem Schweigegebot geweiht, denn nie hörte man sie miauen oder
     schnurren. Niemand wußte, wann noch wie ihr die stillschweigende Erlaubnis erteilt worden war, Richelieu auf den Schoß zu
     springen, wenn er ruhte, und sich dort niederzustrecken, den Kopf aufmerksam und stumm ihrem Herrn zugewandt.
    Wie verwundert, diese körperliche Nähe in einem Moment der Schwäche geduldet zu haben, hütete sich der Kardinal allerdings
     wie vorm Teufel davor, weiterzugehen und sie zu streicheln, seine langen weißen Hände lagen neben ihr, ohne sie zu berühren.
     Als Richelieu aber die Augen aufschlug, öffnete auch die Katze, einem unfehlbaren Instinkt gehorchend, sogleich die ihren
     und warf dem einzigen Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit einen jener rätselvollen Blicke zu, die ihrer Gattung eigen sind. Doch
     sowie Richelieu zu sprechen anhob, schloß die Katze wollüstig die Augen, so als bereite ihr die Stimme ihres Herrn dasselbe
     Vergnügen wie vorher sein regelmäßiger Atem im Schlaf.
    Beim ersten Hinsehen war mir der Kardinal abgemagert und hohlwangig erschienen, als er jedoch die Augen öffnete und |98| seine Schultern aufrichtete, strömten in seine Augen, seine Stimme, seinen Körper neue Kräfte.
    »Graf«, sagte er, »laßt die Hutschwenke und Kniebeugen! Kommen wir zur Sache.«
    Trotzdem vollführte ich meine Begrüßungszeremonie wie gewohnt, denn hätte ich diese, und sei es auf sein Geheiß, unterlassen,
     wäre der Kardinal pikiert gewesen, das wußte ich. Er erwartete immer die Achtung, die ihm als dem zweiten Mann im Staat gebührte.
    Im Staat sage ich, nicht im Reich, denn im Reich kamen die Königinmutter, die Königin und Monsieur gleich nach dem König,
     dort war Richelieu ein Nichts. Rang und Macht befanden sich nicht auf derselben Seite. Und eben das war, um es klar zu sagen,
     der Quell all unserer Wirren und Rebellionen. Denn leider gebot der Rang auf keiner Stufe über den Geist, die Kenntnis, den
     Fleiß, die Erfahrung, den Eifer,

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