Kardinal vor La Rochelle
bezahlt wurde, wirklich unter uns zugelassen war. Vielleicht glaubte er, daß ein
Junker nicht viel über ihm stehe, oder in gewisser Hinsicht womöglich sogar unter ihm, denn wo Nicolas das Privileg hatte,
meine Stute zu striegeln, genoß er ja die Ehre, meinen Leib abzubürsten. Verflixt, dachte ich, die Bediensteten großer Häuser
sind anscheinend nicht weniger ehrsüchtig als Prinzen, Herzöge oder Marschälle.
Ich setzte mich in einen Lehnstuhl und streckte meine nun trocken bestrumpften und beschuhten Füße zum Feuer. Bald betrachtete
ich meine armen Stiefel, die davor mit klaffenden Mäulern zum Trocknen lagen, bald schaute ich in die Flammen, deren Tanz
und Farben bekanntlich die Macht haben, unsere Blicke zu bannen. Was gab es sonst auch zu sehen? Draußen dunkelte es, und
der Regen, der die Scheiben zusätzlich trübte, schlug mit solcher Gewalt gegen die Fensterscheiben, daß ich mich fragte, ob
er sie nicht sprengen werde. Es war aber keine ernstliche Befürchtung, wahrscheinlich diente sie mir dazu, den Augenblick
desto mehr zu genießen. Trotzdem, so durchwärmt und wohlig es mir nun auch war, fühlte ich mich doch nicht recht glücklich.
Das lag an dem Gespräch mit Bassompierre. Mich hatte sowohl die Distanz getroffen, die er zwischen uns gelegt hatte – er,
der meinem Vater und mir einmal ein so naher und guter Freund gewesen war –, wie auch sein letzter Satz, der mir nicht aus
dem Kopf ging, denn er verletzte mich in meiner Königstreue und erregte in mir eine Reihe von Besorgnissen, Mutmaßungen und
Zweifeln.
Wenig später, als die Herren, auch Nicolas, mir zur Seite Platz genommen hatten, einen Becher Glühwein in Händen, wurde dieser
Satz Gegenstand eines kleinen Streits. Mein Vater erinnerte sich, daß Bassompierre gesagt hatte: »Wir werden so verrückt sein,
La Rochelle einzunehmen«, La Surie behauptete, der Satz habe gelautet: »Wir werden verrückt genug sein, La Rochelle einzunehmen«.
»Ob das eine oder das andere«, sagte ich, »darauf kommt es nicht an, so oder so bedeutet der Satz das gleiche.«
|91| Unbehagen machte sich unter uns breit, und wir schwiegen.
»Ihr habt Recht«, sagte mein Vater nach einer Weile, »darauf kommt es nicht an. Worauf es ankommt, ist, was der Satz nicht
ausspricht.«
»Ach!« sagte La Surie, »das ist doch eine Witzelei.«
Hierauf öffnete Nicolas den Mund, schloß ihn aber wieder, und sein schönes Gesicht überzog sich mit Röte.
»Nicolas«, sagte ich, »du mußt hier nicht den Stummen vom Serail spielen. Wenn du eine Meinung hast, sprich sie aus.«
»Herr Graf«, sagte Nicolas, »ich war bei dem Gespräch ja nicht dabei. Aber wenn Monsieur de Bassompierre diesen Satz gesagt
hat, verstehe ich ihn nicht als Witzelei, sondern als eine Bosheit.«
So unverblümt hätte ich es nicht formuliert, trotzdem fand ich, daß der Junge instinktiv das Wesentliche erfaßt hatte. Und
La Surie mußte es ebenso empfinden.
»Eine Bosheit, gegen wen?« fragte er, ohne über den Widerspruch verärgert zu sein.
»Gegen den König«, sagte Nicolas, »der mit großen Mühen, Arbeit und Geld die Belagerung von La Rochelle unternommen hat.«
»Wahrhaftig«, sagte ich, »wer kann verkennen, daß Seine Majestät und der Kardinal allerhöchsten Wert darauf legen, La Rochelle
in die Knie zu zwingen, das seit Karl IX. die uneinnehmbare Zitadelle der Hugenotten ist? Nur so können sie den ständigen
Rebellionen, die sich die Hugenotten nach Henri Quatres Tod geleistet haben, ein für allemal ein Ende setzen.«
»Hat Bassompierre etwa heimliche Sympathien für die reformierte Religion?« fragte La Surie meinen Vater.
»Bewahre! Nicht die mindesten!« sagte mein Vater. »Bassom pierre ist ein unbedingter Katholik, und allein deshalb müßte er die Einnahme La Rochelles wünschen, anstatt uns verrückt zu nennen.«
»Aber wen meint er mit seinem ›wir‹?« sagte La Surie. »Die Soldaten? Die Hauptleute? Oder ihre Befehlshaber?«
»Dieses ›wir‹«, sagte ich, »ist Bassompierre und Bassompierre allein. Und weil er es für eine Verrücktheit ansieht, La Rochelle
zu nehmen, versteht man, warum er uns gerne verlassen und in Paris ›den Bürger spielen‹ will. In Paris, wo die |92| Prinzessin Conti ist und die Herzogin von Chevreuse, erbitterte Feindinnen des Königs und des Kardinals.«
»Man kann sich auch fragen«, sagte mein Vater, »ob die Bedingungen, die Bassompierre stellt, um in Chef de Baie zu bleiben,
das
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