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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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welche die Leitung der großen Geschäfte erforderte. Gleichwohl war der Rang empört, daß die
     Macht in anderen Händen lag, ja daß sie dem Sproß einer niederen Adelsfamilie zugefallen war, dem man höchstenfalls ein lausiges
     kleines Provinzbistum zubilligte. Und weil der Rang dem König, dem ersten Mann des Reiches, nichts anhaben konnte, nährte
     er einen blindwütigen, bislang aber ohnmächtigen Haß gegen denjenigen, den man den »Fatzke von Kardinal« nannte, schmiedete
     gegen ihn Mordpläne, die so dumm erdacht und so kläglich ausgeführt wurden, daß man sie bislang ohne zu große Mühe hatte durchkreuzen
     können, ohne daß man ihnen jedoch die Basis entziehen konnte, indem man ihre Urheber bestrafte. Wie hätte man denn auch der
     Königin, Monsieur oder der Königinmutter den Prozeß machen sollen? Der Rang war sakrosankt und selbst für den König so gut
     wie unantastbar.
    »Graf, nehmt Platz«, sagte der Kardinal, »und berichtet mir ohne Umschweife, wie es mit Bassompierre steht.«
    Ich öffnete den Mund, und weiter kam ich nicht, denn im selben Moment klopfte es, Richelieu rief gereizt herein, Monsieur
     de Lamont erschien, und um wegen der Störung einem Tadel des Kardinals vorzubeugen, erhob er sofort die Stimme.
    »Seine Majestät, der König!« verkündete er.
    Mit einer Behendigkeit, die man von ihm nicht erwartet hätte, schnellte Richelieu gleich einer Feder empor. Durch |99| seine rasche Bewegung fiel die Katze rücklings, drehte sich im Fall, kam mit den Pfoten am Boden auf und rollte sich voll
     friedlicher Würde unterm Stuhl ihres Herrn zusammen, so daß sie schon verschwunden war, als der König erschien. Unsererseits
     entboten wir die geziemenden Hutschwenke und Kniefälle, als Ludwig den Raum betrat, gefolgt von einem Lehnstuhl, den ein Diener
     in das blaue Kabinett trug, das plötzlich viel kleiner wirkte, als Ludwig darin Platz nahm.
    »Sire«, sagte Richelieu, »ich glaubte, Ihr wäret in Coureille.«
    Der König erklärte, daß er allerdings auf dem Weg dorthin gewesen sei, als er die Meldung erhielt, der Regen habe den Wall,
     den er besichtigen wollte, beschädigt. Er kehrte um, da meldete ihm ein zweiter Bote, daß ich, weil ich ihn in Aytré nicht
     angetroffen, mich zum Kardinal begeben hätte. Und weil er ungeduldig war zu erfahren, wie meine Verhandlung mit Bassompierre
     verlaufen sei, habe er den Weg nach Pont de Pierre genommen.
    »Monsieur d’Orbieu ist soeben eingetreten«, sagte Richelieu, »er hat seinen Bericht noch nicht begonnen.«
    »Aber zuerst, mein Cousin, muß ich Euch zwei Worte zum Deichbau zwischen Coureille und Chef de Baie sagen, der mir keine Ruhe
     läßt. Bleibt, Orbieu, ich kenne Eure Verschwiegenheit.«
    Ehrlich gestanden, ich hörte nur mit halbem Ohr hin, für so undurchführbar hielt ich diesen Deichbau. Und weil der König schwerkrank
     gewesen war, richtete ich lieber meine Augen auf ihn, zunächst mit einer gewissen Besorgnis, doch beruhigte ich mich nach
     und nach. Er war damals sechsundzwanzig Jahre alt, und sein Gesicht hatte noch immer die Rundlichkeiten der Jugend, seine
     Wangen waren voll und seine Lippen fleischig, man hätte fast von einem Schmollmund sprechen können. Die Nase war gerade, die
     Augen schwarz, grüblerisch, mißtrauisch, melancholisch, die Stirn wurde von einer Haarsträhne verhüllt, die bis zu den Brauen
     reichte. Er hatte dichte dunkelbraune Haare, die wellig und in großen Locken auf seine Schultern fielen. Ich fand nicht die
     Spur einer Falte in seinem Gesicht, aber auch keine Spur von einem Lächeln.
    Ludwig wirkte tatsächlich zugleich jünger und ernster, als es seinem Alter entsprach, und dieser Ernst korrigierte für mein |100| Gefühl, was dieses Gesicht durch seine Rundungen und seine scheinbare Sanftmut an Weibischem haben mochte. Scheinbar sage
     ich, denn wie sein Vater geriet Ludwig leicht in Erregung, und wenn sein Zorn ausbrach, schleuderten seine Augen Blitze, sein
     Gesicht verzerrte sich, und seine Stimme wurde scharf.
    Wenn man ihn so sah, schien er bei guter Gesundheit, und zeitweise war er es auch. Dann jagte er, saß von früh bis spät im
     Sattel, unempfindlich gegen Wind, Kälte und Regen, trank tüchtig und aß viel. Jedoch litt er unter einer Empfindlichkeit der
     Gedärme, die ihn immer wieder an den Rand des Todes brachte. Der gute Doktor Héroard, der ihn über alles liebte und ihn behandelte
     – und ihn nach Ansicht meines Vaters falsch behandelte –, gab ihm

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