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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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plaudern, doch mein Vater erwiderte meine Bälle nur schwunglos. Er liebte mich sehr, mehr als seine legitimen
     Kinder, und es bedrückte ihn, mich zu verlassen, zumal er, wie ich später durch La Surie erfuhr, sich nicht allzu gut fühlte
     und – da die Belagerung lange zu währen drohte – sich nicht sicher war, ob er mich jemals wiedersähe.
    Am besten von uns dreien hatte sich Madame de Brézolles in der Hand. Und vielleicht hätte ich sie der Kälte geziehen, hätte
     ich nicht bemerkt, wie ihre Ohrgehänge von Zeit zu Zeit vor innerer Bewegung leise klirrten, während ihr schönes Gesicht ruhig
     und heiter blieb. Nach dem Essen lehnte mein Vater den abendlichen Tee im kleinen Salon ab unter dem Vorwand, müde zu sein,
     und nach einem leisen Wink von ihm tat La Surie es ihm gleich, so daß ich mit Madame de Brézolles allein blieb.
    »Mein Freund«, sagte sie sanft, »ich sehe wohl, daß Ihr mir gram seid, und ich verstehe den Grund. Ich hatte Euch mit keinem
     Wort gesagt, daß ich mich dringlichst nach Nantes begeben muß. Als Ihr zu meinem großen Glück in dies Haus kamt, wußte ich
     aber noch nicht, wie ich dies bewerkstelligen sollte, weil ich wegen der Belagerung keine ausreichende Eskorte für die lange
     und gefährliche Reise zusammenbekam. Als nun Euer Herr Vater sagte, daß er nach Nantes weiterreisen wolle, ergriff ich, rasch
     entschlossen, wie ich bin, die so wunderbare und unverhoffte Gelegenheit beim Schopfe, ohne zu bedenken, |105| daß ich zuerst Euch hätte unterrichten und das Warum meines Aufbruchs erklären müssen.«
    »Madame«, sagte ich ernst, »Ihr habt mich so großmütig in Eurem Hause aufgenommen und mir so viele Zeichen Eurer Wertschätzung
     gegeben, daß es ungehörig von mir wäre, Euch Vorwürfe zu machen, die Ihr nicht verdient, und vor allem Euch Erklärungen über
     die Dringlichkeit Eurer Reise abzuverlangen.«
    »Wertschätzung«, sagte Madame de Brézolles mit einem zugleich zärtlichen und neckenden kleinen Lächeln, »ist nicht ganz das
     Wort, mit dem ich meine Empfindungen für Euch benennen würde, obgleich Wertschätzung darin ihren Platz hat. Was aber die Erklärungen
     angeht, die Ihr nicht von mir verlangt, so will ich sie Euch trotzdem geben: Ich besitze in Nantes ein Haus, von meinem Mann
     her. Dort wohne ich für gewöhnlich und komme nach Saint-Jean-des-Sables nur für den Sommer. Nach dem Tod meines Mannes fiel
     mir zufällig unser Ehekontrakt in die Hände, den ja mein Vater unterschrieben hatte und nicht ich, wie es unsere ärgerlichen
     Bräuche verlangen. Beim Lesen nun entdeckte ich eine so ausgefuchste, so schändliche Klausel, nach der mir beim Tod von Monsieur
     de Brézolles das Haus in Nantes verlorengehen und an meine Schwiegerfamilie zurückfallen könnte. Sofort schrieb ich dem Gericht
     von Nantes, um gegen diese Ungerechtigkeit einzuschreiten. Aber bekanntlich hat in solchen Fällen immer der Abwesende das
     größte Unrecht, mit Richtern redet man eben leider am besten unter vier Augen und, wenn ich so sagen darf, von einer Hand
     in die andere.«
    »Madame, ich danke Euch. Endlich verstehe ich, warum es Euch drängt, nach Nantes zu kommen. Aber, darf ich Euch noch eine
     Frage stellen? Ich bin in unseren Gesetzen ein wenig bewandert, und wenn Ihr mir sagen wolltet, um was für eine Klausel es
     sich handelt, könnte ich Euch vielleicht helfen.«
    »Mein Freund«, sagte Madame de Brézolles und seufzte, »vergebt, aber ich mag von diesem Kontrakt nicht weiter reden. Wir würden
     dadurch in einen Sumpf geraten, der uns zuviel Zeit rauben würde, und die uns verbleibenden Stunden sind so knapp bemessen
     und kostbar, daß man sie liebenswerteren Dingen widmen sollte.«
    Damit erhob sie sich.
    |106| »In einer Viertelstunde, mein Freund«, sagte sie mit leiser, bebender Stimme, »bin ich in meinem Himmelbett und hoffe, Ihr
     kommt.«
    Sie entfernte sich mit ihrem schwingenden Reifrock, wohl wissend, daß meine Augen ihr folgen würden, bis sie schräg, ihr weites
     Gewand mit beiden Händen raffend, durch die Tür des Salons verschwände. Diese ihre Geste fesselte mich jedesmal ob ihrer unendlichen
     Anmut, und wie hätte ich sie dieses letzte Mal versäumen können, so bekümmert und betrübt ich auch war.
    Mir aus den Augen nun, war sie mir doch nicht aus dem Sinn. Ich blieb in großer Verwirrung zurück. Nicht, daß ich den ernstlichen
     Anlaß ihrer Reise bezweifelte: Ehekontrakte konnten bis ins kleinste Komma so heimtückisch

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