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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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sein und die daraus folgenden Erbstreitigkeiten
     so langwierig, daß der Casus, in dem Madame de Brézolles sich befand, nur allzu häufig war. Auch wußte ich ja nach dem günstigen
     Handel, den sie mit mir eingegangen war, daß sie ihre Interessen wachsam im Auge hatte und in einem Fall wie diesem sicherlich
     mit Zähnen und Klauen kämpfen würde.
    Etwas verstört war ich aber, daß sie mir, wenn auch auf das liebenswürdigste, jede Erklärung der sie bedrohenden Klausel verweigert
     hatte. Mir wäre es natürlicher erschienen, wenn sie sich mir eröffnet hätte, da diese ihr so sehr am Herzen lag, und außer
     daß ihre Weigerung etwas Abweisendes hatte, konnte ich auch den Grund dieser Heimlichtuerei nicht verstehen.
    Erst später, sehr viel später, als ich diese Klausel endlich kennenlernte wie auch andere, noch gewichtigere Dinge, die Madame
     de Brézolles mir bei ihrer Abreise verschwieg, begriff ich, wie klug sie damit gehandelt hatte, denn hätte ich alles gleich
     erfahren, hätte ich ihr Handeln womöglich so mißverstanden, daß ich sie aus meinem Herzen verbannt hätte.
    Wie jedem Mann hatte man auch mich von Kind auf gelehrt, daß es meinem Geschlecht nicht anstehe zu weinen, und dieses Verbot
     hat sich mir so tief eingegraben, daß ich nicht weinen kann, selbst wenn mir danach zumute ist. Damit sind aber die Tränen
     nicht aus der Welt, sie stocken nur in meiner Kehle, anstatt in die Augen zu steigen. Und dort in der Kehle drücken und peinigen
     sie mich nicht weniger, als wenn sie über meine Wangen strömten. In dieser letzten Nacht jedenfalls, die ich |107| mit Madame de Brézolles verbrachte, fühlte ich sie mehr als einmal wie eine schmerzende Zwinge in meiner Brust.
    Es ist sonderbar, daß man sich traurig im Bett vergnügen kann, und doch taten wir es, denn es ist nun einmal so, daß der Kopf
     seine Logik hat und der Körper eine andere. Nicht, daß unsere Wonnen dadurch geringer gewesen wären, aber wenn zwischen zwei
     Stürmen Windstille eintrat, hingen wir beide stumm dem Gedanken nach, daß wir unser kleines Paradies nun auf gewiß lange Zeit
     verloren. Lautlos weinte Madame de Brézolles, und, die Kehle schrecklich zusammengepreßt, trocknete ich ihre Tränen.
    Wir liebten dieses Bett. Durch seine rosigen Vorhänge, Seide auf einer Seite, Taft auf der anderen, schimmerte das flackernde
     Kerzenlicht, so daß ich das schöne Gesicht an meiner Seite sehen konnte und diesen weiblichen Körper, »so weich, süß, glatt
     und lieblich«, wie es bei Villon heißt.
    Wie immer, und erst recht an diesem Abend, gab uns der Betthimmel das Gefühl, vor einer Welt der Finsternis geborgen zu sein,
     wie auf hochgehenden Meereswogen von einer Art Arche Noah getragen, in der wir das einzige Paar waren, dem der Allmächtige
     den Auftrag erteilt hatte, die Erde neu zu bevölkern, wenn die Wasser der Sintflut sich zurückgezogen hätten.
    Als ich mich am nächsten Morgen mit Lucs Hilfe ankleidete, klopfte es an meiner Tür, und ich wußte, um diese Stunde konnte
     es niemand anders sein als mein Vater.
    »Mein Sohn«, sagte er, nachdem ich Luc hinausgeschickt hatte, »darf ich Euch etwas sehr Vertrauliches fragen?«
    Ich willigte ein.
    »Nur will ich Euch nicht zu nahe treten«, fuhr er fort, »Ihr müßt mir nicht antworten, wenn Ihr nicht wollt.«
    »Bitte, fragt nur, Herr Vater«, sagte ich lächelnd.
    »Mein Sohn«, begann er nach einem Schweigen erneut, »empfindet Ihr etwas für Madame de Brézolles?«
    »Ich denke«, sagte ich, »so könnte man es nennen.«
    »Dann ist es gegenseitig: Die Dame ist von Euch völlig eingenommen.«
    »Herr Vater, woher wißt Ihr das?« sagte ich. »Benimmt sie sich so unvorsichtig?«
    »Bei Tisch – ob mittags, ob abends – vermeidet sie jeden Blick auf Euch.«
    |108| »Und das nennt Ihr einen Beweis?«
    »Genauso, als wenn sie Euch nicht aus den Augen ließe: Ihre Furcht, sich zu verraten, verrät sie.«
    »Ein hübsches Wortspiel, Herr Vater. Das müßt Ihr Miroul sagen.«
    Hierauf lachten wir, und damit löste sich die Spannung, die diesem Gespräch innegewohnt hatte.
    »Ich verhehle Euch nicht«, fuhr mein Vater fort, »daß ich von Madame de Brézolles die beste Meinung habe.«
    »Ich auch.«
    »Wißt Ihr, weshalb sie nach Nantes reist?«
    »Um die Erbschaft ihres seligen Gemahls zu verteidigen, die ihr die Schwiegerfamilie streitig macht.«
    »Sie wird sie bestens verteidigen«, sagte mein Vater, »sie hat einen ebenso wachen Kopf, wie ihr Herz

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