Kardinal vor La Rochelle
empfindsam ist.«
Hierauf antwortete ich nicht.
»Mißfällt Euch, was ich eben sagte?« fragte mein Vater.
»Nein, Herr Vater. Mir mißfällt nichts, was zum Lob von Madame de Brézolles spricht.«
Ich blickte meinem Vater mit all der Liebe in die Augen, die ich für ihn empfand, und verlegte mich auf einen scherzenden
Ton.
»Herr Vater, mir scheint, ich täte Euch kein Unrecht, wenn ich sagte, Ihr wäret entzückt, wenn Madame de Brézolles Eure Schwiegertochter
würde? Warum eigentlich auch nicht? Sie ist jung, schön, wohlgeboren, hat, um Euch zu zitieren, einen ebenso wachen Kopf,
wie ihr Herz empfindsam ist. Und wenn ich es richtig sehe, ist sie auch ohne das Erbe ihres Gemahls nicht arm.«
»Ihr auch nicht. Und Ihr habt die Huld des Königs und Hoffnung auf ein Herzogtum. Einer wie der andere seid Ihr eine sehr
gute Partie. Was also hält Euch ab?«
»Das Was ist ein jemand: Madame de Brézolles. Sie sagt, sie will mich erst heiraten, wenn sie sich gewiß ist, daß ich sie
genügend liebe.«
»Was soll das heißen?« fragte mein Vater.
»Daß sie vorsichtig ist, und was mich betrifft, so will auch ich nichts übereilen. Für mich ist dies ein ganz neues Gefühl.
Ich möchte ihm Zeit lassen, zu wachsen und zu reifen.«
Damit sagte ich nichts, was ich nicht dachte, und doch war |109| es nur die Hälfte der Wahrheit. Denn ich wollte auch und vor allem Aufklärung von ihr über ein, zwei Dinge, die sie mir verheimlichte
und deren Unkenntnis mich hinderte, ihr jenes vollkommene Vertrauen zu schenken, das eine wachsende Liebe braucht.
Madame de Brézolles nahm in ihrer Kutsche nur Monsieur de Vignevieille und zwei Kammerzofen mit, und unser Abschied war so
höflich, daß auch der findigste Jesuit nichts dabei hätte argwöhnen können. Mit meinem Vater, mit La Surie gab es innige Umarmungen,
Worte, wie man sie beim Abschied sagt, gezwungenes Lächeln, gespielte Munterkeit. Margot machte mir, bevor sie in die väterliche
Karosse stieg, eine tiefe Reverenz, und ich tätschelte ihre frischen Wangen, aber ohne sie abzuküssen, mein Vater war eifersüchtig
auf sein Liebchen.
Außer seinen beiden Soldaten Pissebœuf und Poussevent und seinem Kutscher Lachaise hatte mein Vater fünfzehn Schweizer gedungen,
welche die beiden Kutschen, den Karren mit dem Gepäck und den Waffen und die nachfolgenden vier Zugpferde begleiteten, denn
es war sein eiserner Grundsatz, daß ein Pferd am Tag nicht über zwölf Meilen im Gespann gehen dürfe, ohne abgelöst zu werden,
und wenn der Weg schlecht oder bergig war, sogar weniger als zwölf Meilen.
Das Tor wurde von meinen Schweizern geöffnet, die zu beiden Seiten der gepflasterten Allee ein Ehrenspalier gebildet hatten,
der Zug setzte sich in Bewegung, und aus fast allen Fenstern des Schlosses schauten Diener, Lakaien und Kammerfrauen, und
einige weinten aus Angst vor den Gefahren, denen ihre Herrin unterwegs begegnen mochte, so gut beschützt sie auch war.
»Nun denn, Herr Graf«, sagte Nicolas, um mich meiner Trübsal zu entreißen, »jetzt sind wir beide allein.«
»Wieso ›beide‹, Nicolas? Hast du unter den Zofen hier kein Schätzchen?«
»Das ist es ja, Herr Graf, sie sitzt mit in der Kutsche nach Nantes.«
»Wie schade für dich und für die Ärmste. Hast du dich an die Verhütungsregeln gehalten, die ich dir anriet?«
»Das habe ich.«
»Zum Glück! Denn es wäre schlimm für das Mädchen, |110| wenn Euer vergnügter Umgang ihr eine Schwangerschaft bescherte.«
Und das brachte mich auf Madame de Brézolles zurück, die doch aus eigenem und ausdrücklichem Willen besagte Maßnahmen abgelehnt
hatte, weil sie von mir Mutter werden wollte, ohne daß sie verlangte, ich solle sie heiraten. Und wieder sann ich über dieses
merkwürdige Verhalten nach und konnte es nicht begreifen.
»Nicolas, liebst du die Kleine?« fragte ich ihn, weil ich sein schönes Gesicht ganz bekümmert sah.
»Sehr!« sagte er. »Sie fehlt mir schon jetzt. Es ist das erstemal, daß mein Herz im Spiel ist, nicht nur das leidige Tier.
Aber was soll ich nun machen?« setzte er halb ernst, halb scherzend hinzu, »weinen?«
»Bewahre, Nicolas! Geh, sattle unsere Rösser! Ein tüchtiger Trab nach Aytré wird uns guttun, und vielleicht gibt uns der König
einen neuen Auftrag, der unsere Tage ausfüllt. Die Tränen heben wir uns auf für die Nächte.«
Aber das war pure Großmäuligkeit. In der Nacht nach der Abreise meiner Gastgeberin konnte ich nicht
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