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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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schlafen, meine Gedanken
     kamen nicht los von Madame de Brézolles und bereiteten mir große Pein.
    ***
    Wie bedauerlich, daß der Kardinal, der doch sonst an alles dachte, es versäumt hatte, einen Historiographen mit ins Lager
     zu bringen. Der hätte den Bau des berühmten Deiches genau festhalten müssen, der zwischen den Kliffen von Coureille und Chef
     de Baie errichtet wurde, um die Bucht zu schließen und zu verhindern, daß englische Flotten mit Hilfsgütern in den Hafen von
     La Rochelle einliefen und die Rochelaiser versorgten. Der Gedanke dabei war, die Umzingelung der Mauern durch das Meer hindurch
     fortzusetzen, so daß die rebellische Stadt vollständig eingeschlossen und durch Aushungern zur Aufgabe gezwungen würde.
    Gewiß hatten wir einen Malherbe am Ort, aber Malherbe gebrauchte seine schöne Rhetorik nur, um den König, die Königin, die
     Königinmutter, den Kardinal und sogar die Prinzessin Conti in Versen zu feiern. Dem Beispiel Homers folgend, der in der
Ilias
die Belagerung Trojas besang, hätte unser Hofdichter |111| es unter seiner Würde erachtet, kriegerische Ereignisse in nüchterner Prosa zu berichten, und sei es den Bau dieses pharaonischen
     Deiches, der die Bewunderung Europas erntete und an dem Tausende Tag und Nacht arbeiteten.
    In Ermangelung eines Historiographen, oder wenigstens eines Malherbe, der sich dazu bereit gefunden hätte, bleibt sogar das
     Datum zweifelhaft, an dem die ersten Feldsteine in den Schlick der Bucht versenkt wurden. Die einen sagen, der Deich wurde
     im Dezember 1627 begonnen und vier Monate später, im März 1628, fertiggestellt. Andere, die meiner Erinnerung gemäß der Wahrheit
     näher kommen, versichern, es sei im November 1627 gewesen, als der erste Arbeiter die erste Kiepe Steine in die Bucht schüttete.
     Ohne ein halbes Jahr darauf ganz beendet zu sein, war der Deich im Mai aber bereits stark genug, eine erste englische Expedition
     zum Scheitern zu bringen.
    An jenem Morgen, nachdem mein Vater und Madame de Brézolles abgereist waren, begab ich mich wie jeden Tag nach Aytré zum Lever
     des Königs und fand ihn zu Bett. Er litt an einer Erkältung, hatte aber, Gott sei Dank, kein Fieber, wie ihm Doktor Héroard
     versicherte, der gerade den königlichen Puls genommen hatte, als ich die Balustrade durchschritt.
    »Sire«, sagte Héroard, »Ihr müßt zwei Tage Bettruhe halten.«
    »Wollt Ihr mich auch auf Diät setzen?« fragte Ludwig voll Unbehagen, denn wie alle Bourbonen aß er gerne.
    »Nein, nein, Sire. Fleisch nährt das Blut, und das Blut heilt die Erkältung. Sire, wart Ihr auf dem Nachtstuhl?«
    »Berlinghen, zeig!« sagte Ludwig.
    Berlinghen zeigte, und Héroard machte zufriedene Miene wie ein Magister, der einem Schüler eine gute Note gibt.
    »Schön, schön. Sehr gut, Sire!« sagte er und nickte beifällig mit dem Kopf.
    Und Ludwig schien erleichtert, daß er diesmal keine Abführtränke oder Klistiere zu fürchten hatte, mit denen Héroard so verschwenderisch
     war.
    »Trotzdem«, sagte er mißmutig, »mir läuft die Nase.«
    »Laßt laufen, Sire, laßt laufen«, sagte Héroard ernst. »Das ist gut: Sie reinigt sich von selbst.«
    »Wer kriegt hier auch keinen Schnupfen?« sagte Ludwig verdrossen. »Nichts als Regen, Wind und Kälte.«
    |112| »Sire, daran ist der Ozean schuld. Dafür ist es hier im Sommer nie zu heiß.«
    »Ah, Sioac!« sagte der König. »Da bist du endlich!«
    »Sire, ich bitte tausendmal um Vergebung für meine Verspätung. Der Marquis de Siorac ist heute morgen nach Nantes abgereist.«
    Für nichts hatte Ludwig so viel Verständnis wie für die Liebe eines Sohnes zu seinem Vater.
    »Dir ist verziehen, Sioac«, sagte er, »deinem Vater zuliebe. Und gebe der Himmel, daß er dir noch lange erhalten bleibt, gesund
     und munter, wie ich ihn hier sah.«
    »Möge der Himmel Euch erhören, Sire!« sagte ich, nicht ohne Bewegung.
    »Sioac«, fuhr der König fort, »ich konnte gestern und kann auch heute nicht zum Deich. Geh du nach Chef de Baie und sieh,
     ob es vorwärts geht mit den Arbeiten, und dann sage mir, was du von dem Deich hältst. Ich habe so meine Zweifel.«
    »Darf ich fragen, Sire, ob Eure Zweifel den Fortgang der Arbeiten betreffen oder den Deich selbst?«
    »Den Deich selbst. Die Idee eines Deiches scheint mir an sich gut«, sagte Ludwig. »Aber ich fürchte, der erste große Sturm
     wird Mühen und Geld zunichte machen, die wir da hineinstecken.«
    »Sire, ich stehe Euch ergebenst zu Gebote. Jedoch

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