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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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die zehn Mann gefangengenommen und, was das schlimmste ist,
     fünf oder sechs Ochsen gekapert, die zwischen den Gräben grasten. Was das schlimmste ist, sage ich, denn als gute Hugenotten
     und Geschäftsleute werden die Rochelaiser uns gegen Lösegeld die Unseren zurückgeben, aber nicht die Ochsen. Die haben sie
     sowieso schon geschlachtet. Heute morgen führten sie vor unseren Augen große Ochsenseiten fröhlich auf ihren Wällen spazieren.
     Armer Angoulême!« schloß er. »Beinahe tut er mir leid! Graf, was, glaubt ihr, wird Ludwig mit ihm machen? Ihn nach Hause schicken?«
    »Das kann er nicht, Herr Marschall! Wenn er ihn nach Paris schickte, wären die diabolischen Reifröcke nur allzu glücklich,
     einen Prinzen von Geblüt zu rekrutieren. Der Herzog wird, denke ich, mit einem scharfen Tadel und der königlichen Nichtachtung
     davonkommen.«
    »Der königlichen Nichtachtung?« sagte Schomberg, ohne |115| seine Enttäuschung zu verhehlen, denn offenbar hatte er mit dem Schlimmsten gerechnet. »Nichtachtung? Was ist das schon? Nichtachtung
     für ein so schweres Vergehen wie mangelnde Wachsamkeit vor dem Feind?«
    »Oh, Herr Marschall! Die wird dem Herzog das Leben nicht leicht machen! Zehn bis vierzehn Tage wird Ludwig kein Wort an ihn
     richten, ihm keinen Blick zuwenden! Und wagt der Unglückliche ihn anzusprechen, wird er tun, als sei er Luft. Derart geschnitten,
     wird unser armer Angoulême tief gedemütigt vor dem ganzen Hof dastehen.«
    »Das trefft Ihr gut, Graf! Seid Ihr schon einmal geschnitten worden?«
    »Ja, aber es war sozusagen nur ein Schnittchen! Es dauerte einen Tag. Der Kardinal, der mich für unschuldig hielt, trat für
     mich ein, und am nächsten Tag schenkte der König mir wieder Auge, Ohr und Gnade.«
    Schomberg steckte sich den Brief Seiner Majestät in den Wamsärmel, dann legte er sich, Unverständliches grummelnd, zwei Scheiben
     Lamm vor und malmte sie, als helfe ihm dies über seine Enttäuschung hinweg. Niemand wagte einen Ton zu sagen, und ich wunderte
     mich im stillen, wie schwer Schomberg noch an der halben Straflosigkeit Angoulêmes zu tragen schien, oder an dem Rückschlag,
     den seine Armee erlitten hatte. Denn auch wenn er sie nur jeden zweiten Tag befehligte, blieb es trotzdem die seine. Und auch
     wenn der Erfolg der Rochelaiser gering war, stärkte er doch ihre Kampfkraft und Siegessicherheit.
    Nachdem Schomberg seinen zweiten Hunger gestillt hatte, vom zweiten Durst ganz zu schweigen, überwand er seine Stummheit,
     sein gutmütiges Naturell gewann die Oberhand, und er versuchte, die Dinge weniger leidenschaftlich zu betrachten.
    »Natürlich hat der Herzog seine Vorzüge«, sagte er. »Er ist tapfer und versteht sich auf den Krieg, wenn auch so, wie Henri
     Quatre ihn verstand: tollkühne Kavallerieangriffe gegen die Piken der feindlichen Infanterie. Aber für eine Belagerung ist
     er ungeeignet. Er ist so leichtfertig, unbekümmert, so ohne Methode und ernstes Bemühen, daß die Soldaten es spüren und auch
     nachlassen. Und jedesmal, wenn ich an die Reihe komme, muß ich als erstes die Disziplin wieder herstellen und somit die Wachsamkeit.«
    |116| Nach diesem Tribut an die Gerechtigkeit, der zugleich seiner durchaus legitimen Selbstachtung Genüge tat, erheiterte sich
     Schomberg, sprach freudig Essen und Trinken zu und wandte sich schließlich in seiner jovialen Art an den Musketierhauptmann.
    »Alsdann, Clérac, wo bleibt deine mündliche Botschaft für Graf von Orbieu? Hast du sie verschluckt? Oder ist sie nur für die
     Ohren des Grafen bestimmt?«
    »Nein, Herr Marschall, es ist keine geheime Botschaft«, sagte Clérac. »Sie betrifft meinen Bruder Nicolas. Der König hatte
     ursprünglich beschlossen, daß er Ende dieses Monats bei den Musketieren eintreten solle. Weil es dem Herrn Grafen von Orbieu
     aber schwerfallen würde, mitten im Krieg einen neuen Junker zu finden, stellt der König es ihm frei, Nicolas bis zum Ende
     der Belagerung zu behalten, wenn er es wünscht.«
    »Das käme mir sehr gelegen«, sagte ich, »wenn du einverstanden bist, Nicolas.«
    »Wie sollte ich es nicht sein, Herr Graf?« sagte Nicolas, und sein schönes, junges Gesicht errötete vor Freude.
    »Also, Ende gut, alles gut«, sagte Schomberg, obwohl es ihm lieber gewesen wäre, die Dinge hätten sich für Angoulême anders
     gewendet. »Graf«, fuhr er fort, indem er sich erhob, »wenn Ihr den Deich noch besichtigen wollt, laßt uns aufbrechen, denn
     in diesen frostigen

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