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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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andere Prozeduren beendet waren.
    Fast war das Heldenwerk vollbracht, mich eigenhändig zu entkleiden, da klopfte es. Vermeinend, es sei der versprochene Diener,
     öffnete ich in meinem Adamskostüm die Tür. Und wer stand vor mir, blauäugig und blond, mit blitzblankem Gesicht und so wohlversehen
     von der Natur?
    »Perrette«, sagte ich baff, »was führt dich her?«
    »Aber, Herr Graf«, sagte sie vorwurfsvoll, »Ihr habt Euch ganz allein ausgekleidet?« Und anscheinend war sie weniger schockiert
     von meiner Blöße als von meiner Mißachtung der Rechte, die meinem Rang gebührten.
    »Verflixt!« sagte ich, etwas verdattert, mich bei einer Kammerfrau für mein Handeln entschuldigen zu müssen, »ich hätte mir
     den Tod geholt in meinen nassen Kleidern und Stiefeln!«
    »Tausendmal um Vergebung, Herr Graf, daß ich zu spät komme«, sagte Perrette, »aber das ganze Haus steht Kopf, so viele Ritzen
     und Spalte sind zu stopfen, und Madame de Bazimont wußte sich keinen anderen Rat als, entgegen Euren Grundsätzen, denn doch
     mich herzuschicken.«
    Ich bezweifelte nicht, daß Perrette dieses »entgegen Euren Grundsätzen« von Madame de Bazimont übernommen hatte, obwohl auch
     sie ein gutes Französisch sprach, immerhin war sie von früher Jugend auf mit hochgestellten Damen umgegangen und hatte deren
     Ausdrucksweise, Sitten und Vorurteile übernommen.
    »Herr Graf«, fuhr sie fort, »Ihr seid aber noch ganz feucht, wenn Ihr erlaubt, reibe ich Euch vor dem Feuer trocken.«
    Was sie mit einer Geschicklichkeit und Energie tat, die mich beglückten, und ich machte ihr dazu ein Kompliment.
    |144| »Und trotzdem, Herr Graf, behagt Euch meine Person so wenig, daß Ihr meine Dienste im Namen Eurer Grundsätze ablehnt.«
    »Zum Teufel mit den Grundsätzen!« sagte ich. »Die Wahrheit ist die, Perrette: Ich wollte dich nicht als Dienerin, weil du
     mir, im Gegenteil, viel zu gut behagst.«
    Sie erstarrte, die Bürste in der Hand, und schaute mich aus freudeblitzenden Augen an.
    »Ich behagte Euch viel zu gut?« fragte sie. »Und wieso?«
    »Weil ich fürchtete, wenn wir zur Sache gekommen wären, hättest du es deiner besten Freundin ausgeplaudert, und dann wüßte
     es jetzt das ganze Gesinde.«
    »Ich habe nur eine beste Freundin: mich«, sagte Perrette, »und sogar mir sage ich nicht alles.«
    Ich mußte hellauf lachen, wie aufgeräumt und gewitzt die Kleine war.
    »Demnach«, sagte ich, »hast du wohl gute Gründe, so verschwiegen zu sein.«
    »Sicher, Herr Graf«, sagte sie mit einer kleinen Grimasse, »ich bin einem Matrosen in Nantes versprochen.«
    »Wie, versprochen?«
    »Na, Ostern vor Palmsonntag. Anders hätte er mich nicht gewollt, ich habe keinen blanken Heller.«
    »Hast du wenigstens sein festes Wort?«
    »Doch, Herr Graf, nachher und vor Zeugen.«
    »Und du bist nicht schwanger geworden?«
    »Die Vorsehung hat mich beschützt.«
    »Und du hast keine Angst, die Vorsehung mit mir aufs neue herauszufordern?«
    »Nein«, sagte sie lachend, »bei Euch, Herr Graf, ist doch keine Gefahr.«
    »Woher weißt du denn das?«
    »Von Franchon.«
    »Franchon? Wer ist Franchon?«
    »Na, die Zofe, die Madame de Brézolles mitgenommen hat nach Nantes.«
    »Und was hat sie dir erzählt?«
    »Daß sie von Nicolas gelernt hat, welche Kräuter man nimmt und was man damit macht, und daß Ihr das Nicolas beigebracht habt.«
    |145| »Franchon ist nicht so verschwiegen wie du gegen deine beste Freundin.«
    »Sie hat ja auch keinen Verlobten.«
    »Liebst du deinen?«
    »Ehrlich gestanden, nicht so sehr. Er ist grob, trinkt über seinen Verstand, hurt und streut sein Geld in alle Winde. Aber
     verglichen mit anderen, ist er noch ganz gut.«
    »Und warum willst du ihn heiraten, wenn du ihn so wenig liebst?«
    »Wer will schon in meinem Alter Jungfer bleiben und von allen verachtet sein? Welche Wahl hat denn ein Mädchen, das so arm
     ist, daß es nur eines zu vergeben hat? Wenigstens kann mein Mann mir nicht zu lästig fallen: Von zwei Monaten ist er einen
     auf See.«
    Ich war heiß gebürstet und setzte mich in meinen Lehnstuhl am Feuer. Ich sah Perrette nun zum zweitenmal, ging es mir durch
     den Sinn, und wußte binnen zehn Minuten alles über ihr Leben, während Madame de Brézolles mir vor ihrer Abreise sowohl den
     genauen Anlaß ihres Prozesses verhehlt hatte wie auch den großen Trumpf, der sie so sicher machte, ihren Prozeß zu gewinnen.
     Ob ich wollte oder nicht, mußte ich mir eingestehen, daß die hohe Dame, die ich

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