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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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königlichen Galeeren patrouillieren Tag und Nacht jenseits
     des Deichs und bringen die Fischerboote der Rochelaiser auf. Etliche wandern bei Ebbe in die Bucht hinaus, sammeln Muscheln,
     Krebse, Krabben oder kleine Fische in den Prielen. Aber es sind zu viele unterwegs, als daß solch ein Fischzug großen Ertrag
     brächte.«
    »Was denkst du, Pottieux«, sagte der Kardinal, »können die Rochelaiser bis zum Mai durchhalten?«
    »Leider ja, Monseigneur. Trotz des Hungers sind alle so entschlossen! Die Pastoren und das Volk, weil sie für ihren Glauben
     kämpfen, die Handelsherren und Reeder, weil sie, außer für ihren Glauben, für den Erhalt ihrer Freibriefe und Privilegien
     kämpfen, die sie reich gemacht haben.«
    |150| »Pottieux«, sagte Richelieu, »was gab es gestern und heute morgen Besonderes in La Rochelle?«
    »Dazu komme ich gleich, Monseigneur.«
    »Aber, daß du mir unseren Vertrag nicht vergißt. Achte bei deinen Berichten immer darauf, die Dinge säuberlich zu trennen:
     Für den König das Knusperbrot, Krumen für die Rebellen.«
    »Ich vergesse es nicht, Monseigneur.«
    »Fahr fort.«
    »Am Abend des einundzwanzigsten, Monseigneur, gab es eine Mondfinsternis.«
    »Um das zu wissen«, sagte Richelieu, »mußte man nicht in La Rochelle gewesen sein.«
    »Das Erstaunliche, Monseigneur, war nicht so sehr die Finsternis selbst als die Art, wie die Rochelaiser sie aufnahmen. Sie
     waren außerordentlich erschrocken. Sie meinten, dieses Zeichen verkündige ihnen die schlimmsten Dinge. Die Pastoren kämpften
     vergeblich gegen diesen Aberglauben an, das schwarze Ungeheuer, sagten sie, das den Mond habe verschlingen wollen, sei am
     Ende von ihm vertrieben worden, und so habe das göttliche Licht die Finsternis des Teufels besiegt … Zum erstenmal fanden
     die armen Pastoren wenig Glauben. Vorzeitliche Seefahrerlegenden flößten den Rochelaisern unbezwingliches Entsetzen ein vor
     dem, was sie sahen: einen Mond, über den Satan seinen schwarzen Mantel geworfen hatte. Und wenn Satan in den Gefilden umherstreifte,
     würde er es damit nicht bewenden lassen: Die größten Unglücke würden über La Rochelle hereinbrechen. Jedenfalls war es für
     die Rochelaiser eine Nacht der Alpträume und der Schrecken, zumal auf die Finsternis ein furchtbarer Sturm mit riesenhohen
     Wellen folgte und die ganze Nacht anhielt.«
    »Weiter«, sagte Richelieu.
    »Am Tag danach, Monseigneur, das heißt heute morgen, wurde es nicht hell. Dichter Nebel lag über Stadt, Hafen und Bucht. Man
     sah nicht die Hand vor Augen. Die Rochelaiser erleuchteten ihren Weg zur Arbeit mit Laternen, und da man zwar einen halben
     Klafter weit die Laternen sah, ihren Träger aber höchstens schattenhaft, war es, als irrten Gespenster durch die Straßen.
     Niemand wagte auch nur den Mund aufzutun, denn der Nebel, dicht und schwarz wie Pech, schien die unheilvolle |151| Weissagung der Mondfinsternis zu bekräftigen und gab allen die Gewißheit, daß ihre Stadt und ihr Leben verloren seien. Die
     Tore von La Rochelle würden durch dämonischen Zauber von selbst aufspringen, und die Horden der königlichen Soldaten, Werkzeuge
     Satans, würden über alles hereinbrechen, die Männer erschlagen, die Weiber vergewaltigen und Feuer legen an Häuser und Tempel.«
    »Was hast du zur Zeit des Nebels gemacht?« fragte Richelieu.
    »Auch ich ging mit einer Laterne, Monseigneur. Und ich versuchte zum Hafen zu gelangen, um zu sehen, ob der nächtliche Sturm
     unter den Schiffen gewütet hatte oder nicht.«
    »Wie hättest du das bei dem dichten Nebel sehen können?« fragte Richelieu.
    »Als ich aufbrach, Monseigneur, begann ein scharfer Wind zu blasen, und ich hoffte, er würde den Nebel zerstreuen. Das tat
     er auch, und zwar mit einer solchen Geschwindigkeit, daß man glauben konnte, ein Vorhang habe sich jäh gehoben. Ich sah, daß
     die Schiffe keinen Schaden genommen hatten. Aber da ich rings um mich schreien hörte, und nicht etwa vor Schrecken, sondern
     vor Freude, sandte ich meine Blicke weiter hinaus und sah: Der Sturm hatte in den Deich eine große Bresche gerissen … Das
     Geschrei war ohrenbetäubend. Vor Jubel tanzten die einen, die anderen aber, deren Zahl immer mehr anwuchs, stimmten Psalmen
     an, um dem Schöpfer zu danken. Wortmächtige Stimmen wurden laut, man habe Finsternis, Sturm und Nebel verkannt, diese seien,
     ganz im Gegenteil, günstige Zeichen gewesen, und sie verkündigten völlig zweifelsfrei, daß die Rochelaiser den

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