Kardinal vor La Rochelle
hatte, um danach seinen Bruder ehelichen zu können?
Auch Richelieu hielt die Augen gesenkt, aber ebenso wie seine Katze brauchte er nicht aufzusehen, um die Stimmung seines Gebieters
zu erspüren, in der, wenn auch gemildert, noch immer das vorangegangene Gewitter nachschwang. Nachdem meine Ausführungen beendet
waren, hatte der Kardinal mir einen raschen, einverständigen Blick gesandt, und ich wußte nun, daß er mit dem, was ich über
den Deich gesagt hatte, sehr zufrieden war. Denn aus den verzweifelten Klagen des Königs über den Ort, das Klima und die Langeweile,
die er hier empfand, hatte Richelieu natürlich herausgehört, daß Ludwig in seinem Entschluß schwankte, die Arbeiten am Deich
fortzuführen – einem vielleicht bodenlosen Schlund, der unnütz Mühen und Gelder verschlang –, vor allem aber, daß die Versuchung
in ihm wuchs, alles stehen- und liegenzulassen und nach Paris heimzukehren.
»Mein Cousin«, sagte der König, aus seinem Brüten auftauchend, »ich erhielt heute morgen ein Sendschreiben der verwitweten
Herzogin von Rohan. Ich möchte, daß Ihr es lest.«
|138| »Sire«, sagte ich, weil dieser Brief mich nicht betraf, »darf ich mich entfernen?«
»Warte, Sioac«, sagte Ludwig, »du bist Mitglied meines Rats, und wenn mein Cousin, der Kardinal, seine Ansicht geäußert hat,
sollst du mir deine sagen.«
Damit zog Ludwig aus der Innentasche seines Wamsärmels den Brief der Herzogin und gab ihn dem Kardinal, der ihn zunächst überflog
und dann langsam durchlas, um sicherzugehen, daß ihm keine Einzelheit des Inhalts entglitt.
»Mein Cousin, was haltet Ihr davon?« sagte der König mit einiger Ungeduld, doch ohne seine vorige Gereiztheit.
»Sire, die Bitte, welche die verwitwete Frau Herzogin von Rohan in diesem Schreiben an Euch richtet, erscheint mir sehr sonderbar,
um nicht zu sagen unziemlich. Sie hat die Kühnheit, Euch zu ersuchen, Ihr mögt den Weibern und Kindern der Rochelaiser erlauben,
die Mauern ihrer Stadt zu verlassen, damit sie nicht länger die Nöte der Belagerung erleiden müssen. Statt dieser Bitte möchte
ich Eurer Majestät folgende Bemerkungen unterbreiten:
Primo
, nicht allein auf Grund ihrer Familie, sondern auch ihrer Überzeugungen gehört die verwitwete Herzogin von Rohan zu dem Personenkreis,
den Eure Erklärung vom fünfzehnten August 1627 bezeichnet, die Ihr selbst verfaßt habt und aus der ich, wenn Ihr erlaubt,
Sire, zitiere: ›Soubise und alle Franzosen, die zur englischen Partei gehören oder sich ihr anschließen, sie begünstigen oder
unterstützen, werden als Rebellen, Verräter und ihrem König Abtrünnige betrachtet, als Deserteure ihres Vaterlandes, schuldig
des schwersten Majestätsverbrechens.‹«
»Mein Cousin, Ihr kennt meine Erklärung auswendig?« fragte der König.
»Allerdings, Sire, weil diese Erklärung höchst entscheidend ist. Sie stellt Euer gutes Recht dar und folglich die Legitimität
Eurer Expedition gegen die Rebellen. Mit dieser Erklärung sind drei des Majestätsverbrechens Schuldige erfaßt: Soubise namentlich,
nicht namentlich der Herzog von Rohan, der zur Zeit das hugenottische Languedoc mit Waffengewalt gegen Euch zu erheben versucht,
und schließlich die verwitwete Herzogin von Rohan, die in den Mauern von La Rochelle die Seele der Rebellion ist. Wie ihre
beiden Söhne ist sie hauptverantwortlich dafür, daß die Rochelaiser uns den Krieg erklärten, indem |139| sie als erste den ersten Kanonenschuß gegen das Fort abfeuerten, Sire, das Euren Namen trägt. Hätte Frau von Rohan nicht,
bevor sie diesem verhängnisvollen Kanonenschuß zustimmte, bedenken müssen, daß sie die Weiber und Kinder von La Rochelle auf
viele Monate den schlimmsten Leiden und Nöten aussetzte? Und wenn sie Euch jetzt zu bitten wagt, diese Weiber und Kinder aus
den Mauern herauszulassen, spricht sie dann wahrhaftig im Namen der christlichen Barmherzigkeit, oder will sie La Rochelle
nicht eher von unnützen Mäulern befreien und dank Eurer einen Vorteil einstreichen, der die Belagerung ins Endlose verlängert?«
»Mein Cousin«, sagte der König, »Ihr meint also, man soll Frau von Rohan ihre Bitte klipp und klar abschlagen?«
»Nein, nein, Sire, nicht klipp und nicht klar. Euer königlicher Vater pflegte oft zu sagen, daß man mit einem Löffel Honig
mehr erreicht als mit einer Tonne Essig.«
»Und woher nehmen wir den Honig, mein Cousin, wenn wir der Dame ihre Bitte verweigern?«
»Oh, ganz
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