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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Marschall Manassés von Pas, den zu kapern sie
     das Glück und die Ehre gehabt hatten, war ihnen für kein noch so hohes Lösegeld feil, dazu war er viel zu kostbar. Sehr menschlich
     erlaubten sie jedoch, daß ein königlicher Diener Tag für Tag den Turm des teuren Gefangenen betrat und ihm seine Mahlzeiten
     brachte. Das Unglaubliche dabei war, daß die Wächter des Marschalls von Pas selbst zur Zeit der größten Hungersnot niemals
     auch nur den kleinsten Anteil der leckeren Speisen beanspruchten, die man an ihrer Nase vorübertrug, so streng war ihre Moral.
    Voller Bewunderung für eine so seltene Redlichkeit, besonders in einer solchen Lage, beschloß Herr Manassés von Pas, der seine
     Wächter mit jedem Tag weniger werden sah, während er auf Grund seines Müßiggangs nur immer zunahm, sein Mahl mit ihnen zu
     teilen. Und sogar da noch ging einer der Wächter, |154| von Skrupeln geplagt, seinen Pastor fragen, ob er nicht Verrat an der Sache begehe, wenn er von denjenigen Nahrung annehme,
     die diese Sache bekämpften. Der Pastor antwortete ihm, er dürfe diese Gabe nicht nur getrost annehmen, er müsse es sogar,
     denn Gott wisse, was er tue, wenn er das Herz des papistischen Gefangenen rühre und ihm solch gütiges Handeln eingebe. Dieses
     abzulehnen sei hinsichtlich des Gefangenen nicht nur unrecht und schimpflich, sondern es widerspreche auch sichtlich Gottes
     Willen.
    Das Sendschreiben, durch welches der König den Bürgermeister von La Rochelle ersucht hatte, mir den Zutritt zur Stadt zu genehmigen,
     damit ich seine Cousine, die verwitwete Herzogin von Rohan, besuchen könne, sofern sie es wolle, erfuhr eine günstige Antwort
     vom Bürgermeister wie auch von der Herzogin. Darin festgesetzt waren Tag und Stunde: Am fünften Februar um elf Uhr vormittags
     sollte ich mich mit meinem Junker am Tor des Fort de Tasdon einfinden. Ein königlicher Trommler habe meine Ankunft durch ein
     geeignetes Trommlersignal anzukündigen.
    Schon beim Aufstehen am fünften Februar morgens bebte ich vor Ungeduld und Neugier bei dem Gedanken, in »dieses hugenottische
     Wespennest«, wie Bellec gesagt hatte, vorzudringen, zu jenen Franzosen, die leider unsere Feinde waren, so wie wir einst ihre
     gewesen waren in der schändlichen Bartholomäusnacht. Dabei stand ich ihnen so nahe, sowohl durch meinen Großvater, den Baron
     von Mespech, wie durch meinen Vater, den Marquis de Siorac, der, wie man damals sagte, »die Segel gestrichen« hatte, weil
     Heinrich III. ihn dringlich darum bat, denn er hätte nicht sein Arzt, nicht sein Beauftragter für geheime Missionen bleiben
     können, wenn er sich diesem Opfer verweigert hätte, das ihn um so härter ankam, als er nun seine Söhne und Töchter in einer
     Religion erziehen mußte, die er, wie La Boétie, als »unfaßbar verdorben durch endlose Mißbräuche« ansah.
    Während wir frühstückten, bat Nicolas, den die Vorstellung, in die Mauern von La Rochelle zu gelangen, nicht weniger erregte,
     mich mehreres fragen zu dürfen.
    »Frag, Nicolas, frag!«
    »Herr Graf, kann es sein, daß die Hugenotten uns hinter geschlossenen Toren gefangennehmen?«
    |155| »Pfui, Nicolas! Sie kämen nicht einmal auf den Gedanken! Das sind unbedingt ehrenhafte und loyale Leute, ob im Handel oder
     im Krieg.«
    »Aber Soubise hat sein Wort mehrmals gebrochen, das er dem König gegeben hatte.«
    »Das ist etwas anderes. Soubise ist ein ehrgeiziger, rappelköpfiger Nachgeborener, ein kindischer Unruhegeist, der in London
     den Herzog spielte, der er gar nicht ist. Jetzt in La Rochelle, wo er übrigens krank darniederliegt, hat er nicht mehr viel
     zu melden. Die Macht liegt in den Händen des Bürgermeisters, des Stadtrats und der Pastoren. Trotzdem hat die Mutter von Soubise,
     die verwitwete Herzogin von Rohan, einen moralischen Einfluß in der Stadt, der nicht zu unterschätzen ist, zumal ihr ältester
     Sohn, der Herzog von Rohan, sich im Felde schlägt und das hugenottische Languedoc zum Aufstand gegen den König führen will.«
    »Kann ihm das gelingen?«
    »Nicht, solange wir die Belagerung aufrechterhalten. Dazu hat der Herzog weder Geld noch Truppen genug, und ihm sitzt eine
     königliche Armee unter Prinz Condé im Nacken. Außerdem warten die großen hugenottischen Städte weise ab, wie die Belagerung
     von La Rochelle ausgeht, ehe sie sich auf seine Seite schlagen.«
    »Seid Ihr dem Herzog von Rohan schon begegnet?«
    »Ja, einmal. Er ist ein überaus dünkelhafter Mann. Allerdings

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